G7, IF und dann G20. In den letzten Tagen wurde viel über die Reform der Unternehmensbesteuerung diskutiert. Das mit Abstand wichtigste Dokument dieser Tage ist das 5-seitige Statement des Inclusive Framework, dem am 1. Juli 131 von 139 Staaten zugestimmt haben. Im Vergleich zu den 100+ Seiten der Blueprints vom letzten Oktober sieht man dort viele Festlegungen und einige größere Änderungen:
Bei Säule 1 geht es nicht mehr um digital/consumer-facing. Stattdessen sollen jetzt alle Unternehmen mit mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 10 % Rentabilität und damit etwa 100 Unternehmen weltweit betroffen sein. Weder Volkswagen (als umsatzstärkstes deutsches Unternehmen) noch Amazon erreichen die 10 %. In sieben Jahren soll dann geprüft werden ob die Umsatzschwelle halbiert wird. Ob 20 oder 30 % der Gewinne über 10 % neu verteilt werden, wird noch verhandelt. Die G24 hatten im Mai gefordert, schon jetzt die Ausweitung auf weitere Unternehmen festzuschreiben und die Anteil der neu zu verteilenden Gewinne bei höherer Rentabilität auf bis zu 50 % zu erhöhen. Das würde ökonomisch Sinn machen (weil es um Monopolgewinne geht) und wäre selbst für Deutschland ein Gewinn (weil nur Google & Co betroffen wären). Die OECD ist der G24 also einen sehr kleinen Schritt entgegen gekommen, dafür fordert sie unmissverständlich: „This package will provide for appropriate coordination between the application of the new international tax rules and the removal of all Digital Service Taxes and other relevant similar measures on all companies.” (sprich: keine Digitalsteuern mehr). Die EU hat prompt reagiert und den eigentlich für Mitte Juli angekündigten Vorschlag einer Digitalsteuer verschoben.
Säule 2 – die Mindeststeuer – wird auf „mindestens“ 15 % festgeschrieben und soll bis 2022 in Gesetz gegossen sein. Die Frage ist: in welches. Die EU-Kommission argumentiert für eine Richtlinie, der alle Mitgliedsstaaten zustimmen, weil dann eine Verletzung der Grundfreiheiten für die Gerichte leichter verdaubar wäre. Ein Papier von Becker/Englisch kontert mit einem Vorschlag, der nicht zu Ungleichbehandlung führt und deswegen auch in verstärkter Zusammenarbeit (ohne die EU-Steueroasen) umsetzbar wäre. Zweite spannende Frage ist, wie effektiv der beschlossene Steuersatz am Ende ist. Ungarn (Steuersatz 9 %) fordert einen großzügigen substance carve-out, also eine Mindeststeuerbefreiung für vor Ort tätige Unternehmen (die deutschen Autobauer wird’s freuen). Die OECD bietet 5-7,5 % vom Wert der Fabriken bzw. der Lohnsumme. Die baltischen Staaten fordern lange Ausnahmen für ihr Modell, das Gewinne gar nicht (!) besteuert bis sie ausgeschüttet werden. Die OECD bietet bis zu vier Jahre Befreiung. Die größte Ausnahme geht allerdings an die vielen privaten Steueroasen-Briefkästen der Multimillionäre: Unternehmen mit weniger als 750 Millionen Euro sind nicht betroffen, es sei denn die Steueroase entscheidet sich, diese Mindestgrenze zu unterschreiten. (Übrigens: Anders als in diesem verwirrten Spiegel-Artikel behauptet wäre Amazon von der Mindeststeuer – anders als von Säule 1 – eindeutig betroffen. Das Problem ist nur, dass die zusätzlichen Steuern auf die europäischen Gewinne am Hauptsitz in den USA anfallen und nur in Europa verbleiben, wenn a) Luxemburg entscheidet, die effektive Besteuerung auf 15% anzuheben, und b) Amazon entscheidet, dass es sich dann nicht mehr lohnt die Gewinne in Steueroasen zu verschieben und sie gleich in Deutschland belässt).
Wer es etwas weniger technisch mag, dem sei dieser Handelsblatt-Artikel empfohlen. Er macht aus der Mindeststeuer einen deutschen Helden-Epos mit Martin Kreienbaum (BMF) und Achim Pross (OECD) in den Hauptrollen. Und er offenbart dabei wahrscheinlich unfreiwillig das Hauptproblem hinter dem Deal: Die Mindeststeuer wurde demnach im BMF erfunden, aus der Angst, die Reformpläne zur gerechten Besteuerung der Digitalkonzerne „könnten für das Exportland Deutschland teuer werden“. Keine Steuerrevolution also, sondern eine Konterrevolution, die wesentliche Fortschritte bringt aber hofft, damit die ungerechten Machtverhältnisse und Systemprobleme für weitere 100 Jahre zu zementieren.