Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2023: Deutschland ist Niedrigsteuerland für Superreiche
Deutschland ist Niedrigsteuerland für Superreiche und Kapitalerträge. Unser Muster-Millionär zahlt auf sein Einkommen von 1,6 Millionen Euro nur 21 % Steuern. Während das Durchschnittspaar mit einem Bruttoeinkommen von 110.000 Euro eine Steuer- und Abgabenquote von 43 % trägt, sind es bei der Familie des Muster-Millionärs nur 24 %. Mit diesem und sieben weiteren Fortschrittsindikatoren macht das Jahrbuch 2023 viele schwer zu fassende und teilweise gut versteckte Ungerechtigkeiten im deutschen Steuersystem sichtbar und Fortschritt messbar.
2,5 % trotz globaler Mindeststeuer: Nach langem Ringen haben sich die EU-Staaten Ende 2022 auf eine Mindeststeuer-Richtlinie geeinigt. Die Steuerzahlungen der großen Digitalkonzerne in Deutschland wird das kaum ändern. Wie viele Steuern sie global und in Deutschland zahlen, berechnen wir ab jetzt jedes Jahr und verfolgen damit, ob das zentrale Versprechen der OECD-Reformen irgendwann Realität wird.
57 % nach 6 Monaten: „Deutschland darf nicht länger den Ruf eines Geldwäsche-Paradieses haben. Wir haben den Mut zum großen Wurf.“ Ob diesen Worten von Finanzminister Lindner auch Taten folgen, sollte sich zuerst im Transparenzregister zeigen. Aber: Nur 57 % der deutschen GmbHs halten sich bisher an die Eintragungspflicht. Seit der Rede von Lindner im Sommer 2022 sind es nur 7 % mehr geworden.
Von der unzureichenden Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne, über die ersten Zahlen zur unseres Erachtens verfassungswidrigen Verschonungsbedarfsprüfung bis hin zur Tonnagesteuer-Kritik von Herrn Kühne enthält das zweite Jahrbuch viele weitere spannende Updates aus einem Jahr Steuer- und Finanzpolitik und nicht zuletzt den ab jetzt jährlichen Abgleich mit den Wahlversprechen der regierenden Parteien.
Der diesjährige Schwerpunkt: Steuergerechtigkeiten in Zeiten von Kriegsgewinnen und Inflation
Krisen erzeugen Leid und Krisengewinner, sind persönliche Katastrophe und Chance für gesellschaftliche Korrekturen. Die größten Krisengewinner für 2022 stehen fest: Höhere Energiepreise für Bevölkerung und Wirtschaft bedeuteten für die Mineralölkonzerne Zusatzeinnahmen von etwa 100 Milliarden Euro in Deutschland. Davon sollen 2023 und 2024 etwa 1 bis 3 Milliarden Euro über eine Übergewinnsteuer abgeschöpft werden. Die Details sind noch genauso unklar wie die Frage, ob der Umweg über eine EU-Mehrheitsentscheidung am Ende vor Gericht Bestand hat. Wegen der gestörten Lieferketten erzielte die Hamburger Reederei Hapag Lloyd 2021 einen Rekordgewinn von 9 Milliarden Euro, zahlte aber Dank eines international verbreiteten Steuerschlupflochs nur 60 Millionen Euro. Das war selbst dem größten Einzelaktionär, Herrn Kühne, sichtlich unangenehm.
Anstatt auf Rekordgewinne trafen die meisten Menschen auf Rekordinflationsraten jenseits von 10 Prozent. Staatliche Rettungspakete, ein umfassender Inflationsausgleich für die Einkommensteuergrenzwerte und eine steuerbefreite Sonderzahlung federten die negativen Effekte für viele Menschen ab – auch für die, die sich einen größeren Beitrag zur Krisenbewältigung eigentlich leisten könnten. Die Rettungspakete wurden größtenteils durch Schulden finanziert. Das war auch den Wirtschaftsweisen zu viel: Sie kritisierten, dass schuldenfinanzierte Krisenausgaben den fiskalischen Spielraum für nötige Zukunftsinvestitionen unnötig beschränkten und forderten zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine befristete Steuererhöhung für die, die es sich trotz Krise leisten können.
In einem spannenden Gastbeitrag erklärt Philippa Sigl-Glöckner vom Dezernat Zukunft den Zusammenhang zwischen Schulden, Steuern und Inflation.