Wirtschaftswissenschaftler als Lobbyisten gegen (Steuer)gerechtigkeit

In einer von der Immobilienlobby beauftragten und kürzlich veröffentlichten Studie schlägt das Ifo-Institut unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Fuest vor, die Grundsteuer unabhängig von Leistungsfähigkeit und Wert von Gebäude und Boden zu erheben. Die Studie reiht sich ein in eine lange Kette von ideologisierten wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten, die einen wesentlichen Beitrag zur bestehenden Ungerechtigkeit des Steuersystems leisten. Aus der Perspektive von Verteilungsgerechtigkeit sprechen die vorgebrachten Argumente für:

  1. die Abschaffung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Mieter;
  2. einen Rückgriff auf die leichter verfügbaren Bodenwerte;
  3. die Verwendung der zu erhebenden Immobilienwerte für eine umfassende Besteuerung von Vermögen als Ergänzung zur Grundsteuer und;
  4. die Diskussion von Ausgleichsmechanismen für Härtefälle bei Eigentümer und Mietern und die Verlierer im Länderfinanzausgleich.

Die im Gutachten propagierte Flächensteuer ist weder gerecht noch aus anderen Gründen wünschenswert.
Wirtschaftswissenschaftliche Studien sind ein beliebtes Lobbyinstrument. Eine im Juli 2018 vom wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums vorgestellte Studie spricht sich gegen die Mietpreisbremse und für höheres Wohngeld zur Förderung des Neubaus aus und ignoriert dabei den Fakt, dass die Mietpreisbremse nicht für den Neubau gilt und dass Neubau oft nicht zu bezahlbarem Wohnraum führt (mehr dazu in dieser Antwort von mehr als 200 Wissenschaftler*innen). Nicht zufällig sind die Beiratsmitglieder häufig parallel auch Mitglieder in wirtschaftsfinanzierten, liberalen Think-Tanks wie der Stiftung Marktwirtschaft, der Mont Pelerin Society, der Friedrich-von-Hayek-Stiftung oder der Stiftung Familienunternehmen. Ebenfalls im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums argumentierte das ifo-Institut/Prof. Fuest gemeinsam mit EY 2017 gegen eine Vermögenssteuer. Die Stiftung Familienunternehmen finanzierte 2016 eine Relativierung der Ungleichheitsdebatte durch das ifo-Institut und listet Prof. Fuest als wissenschaftlichen Beirat. Als Mitglied der Stiftung Marktwirtschaft argumentierte Prof. Fuest 2015 für eine niedrigere Steuer für Unternehmenserben.
Kernargumentation der Studie zur Grundsteuer ist, dass die Grundsteuer eine Objektsteuer ist. Sie wird unabhängig von Einkommen und Nettovermögen des Eigentümers erhoben, kennt keine Freibeträge und wird vor allem bei begrenzten Mieten und dank der Umlagefähigkeit häufig von den Mietern getragen. Dies erscheint auf den ersten Blick plausibel. Allerdings ist vermietetes Immobilieneigentum in Deutschland stark konzentriert. Nur 9% der deutschen Haushalte erzielen Mieteinnahmen und nur 2% der Haushalte erzielen Nettoeinnahmen über €10.000. Bei professionellen Immobilieninvestments sieht die Verteilung wahrscheinlich ähnlich aus.

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Quelle: Sozio-ökonomische Panels, wiedergegeben in Wirtschaftsfaktor Immobilien, 2017

Seit der Abschaffung der Vermögensteuer im Jahr 1997 (ebenfalls aufgrund von Bewertungsproblemen bei Immobilien) ist die Grundsteuer neben der Erbschaftsaftsteuer die einzige Besteuerung von Vermögen in Deutschland. Würde die Umlagefähigkeit abgeschafft und die Grundsteuer abhängig von Boden- und Gebäudewert erhoben, würde dies vor allem Eigentümer von teuer vermieteten Wohnungen in Innenstadtlage und Eigentümer von großen Einfamilienhäusern in Bayern treffen. Im Gegensatz dazu erhöht eine nur auf der Wohnfläche basierende Steuer die relative Belastung für Eigentümer und Mieter in weniger attraktiven Stadtvierteln und in dünn besiedelten Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Damit ist sie eindeutig ungerecht.
Zweites Argument der Studie sind die Kosten. Basierend auf der Annahme, dass jede der 35 Millionen Immobilien alle 5 Jahre für €500 neu bewertet werden müsste, werden die Kosten auf 25% der Einnahmen taxiert. Die Probleme bei der jetzigen Bewertung zeigen, dass der Aufwand nicht vernachlässigbar ist, allerdings lässt die Studie außer Acht, dass

  1. auch eine Bemessung der Wohnfläche erheblich Kosten verursachen würde,
  2. die Kosten für das in der Studie vorrangig untersuchte Bodenwertmodell deutlich geringer sein dürften,
  3. die Finanzministerien der Bundesländer bereits in mehrjähriger Kleinarbeit ein Bewertungsverfahren entwickelt haben, dass auf vereinfachten Bewertungskriterien beruht, auf der Bewertung durch den Eigentümer aufbaut und durch den Einsatz von technologischen Hilfsmitteln die wiederkehrenden Kosten verringert und dessen Kosten damit deutlich unter der Schätzung liegen dürften;
  4. die ermittelten Werte neben der Festsetzung der Grundsteuer noch weitere statistische und steuerliche Funktionen übernehmen können (z.B. zur Besteuerung von Vermögen).

Schließlich liefert die Studie erstmals Zahlen über die Verteilungseffekte im Länderfinanzausgleich. Demnach müssten Bayern (+€600-€700Millionen) und Hamburg (+€100Millionen) bei einem wertabhängigen Modell signifikant mehr einzahlen. Dies ist möglicherweise ein Grund für deren Widerstand gegen das derzeitige Modell, aber kein Argument für eine flächenabhängige Steuer. Vielmehr wird dadurch deutlich mit welch geringen Mitteln sich ein Ausgleich schaffen ließe.
Weitere Details zur (Be)steuerung von Immobilien finden sich im aktuellen Info-Steuergerechtigkeit: Immobilien besteuern – Ein Überblick
Bei der Initiative Grundsteuer: zeitgemäß! finden sich: weitere Argumente gegen und eine Zusammenfassung der Argumente für eine Bodenwertsteuer (http://www.grundsteuerreform.net/).

Lobbycontrol fordert anlässlich des bevorstehenden Wohnungsgipfel “Immobilienlobby nicht das Feld überlassen“.

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