Globale Unternehmenssteuerreform: Warum sie keine fairere Welt schaffen wird

Erschienen im aktuellen Rundbrief des Forum Umwelt & Entwicklung.

Im Oktober 2021 einigten sich über 130 Staaten und Jurisdiktionen (1) im Rahmen des OECD Inclusive Frameworks auf eine Reform der globalen Unternehmensbesteuerung. Obwohl die Reform wiederholt als Erfolg betitelt wurde, ist das Ergebnis für viele Länder des Globalen Südens ernüchternd. Die Vereinbarung wird die Wirkungsweise der globalen Unternehmensbesteuerung kaum fairer machen und die Fehler des bestehenden Systems nur unzulänglich beheben.

Die Struktur des globalen Steuer- und Finanzsystems ist ein wesentlicher Grund für die globale Ungleichheit, die im Jahr 2022 weiterhin dafür verantwortlich ist, dass Menschen in manchen Ländern einen überproportionalen Teil des ökonomischen Reichtums beanspruchen, während Menschen in anderen Ländern in Armut leben. Die Funktionsweise der globalen Besteuerung multinationaler Unternehmen (MNU) verdeutlicht dies aus zwei Gründen besonders gut: Erstens wirtschaften MNU in globalen Lieferketten, die jedem Land eine gewisse Rolle zuweisen. Auch im jetzigen System soll der Gewinn theoretisch dort landen, wo das Unternehmen „Werte“ schafft. Faktisch ist das aber hauptsächlich dort, wo die Unternehmen ihren Konzernsitz haben und wo sich die Forscher*innen und Marketingabteilungen befinden. Die Länder des Globalen Südens erhalten für ihren Beitrag zur Produktion und als Absatzländer nur einen geringen Teil der Gewinne und der Steuern. Zweitens funktioniert das aktuelle System nicht besonders gut, da MNU ihre Gewinne in Steueroasen verschieben und damit sowohl reiche als auch arme Staaten um Staatseinnahmen in mehrstelliger Milliardenhöhe bringen. Für Länder des Globalen Südens ist der Steuermissbrauch der Unternehmen besonders problematisch, da ihre öffentlichen Budgets ohnehin meist klamm und sie in besonderem Maße von den Unternehmenssteuereinnahmen abhängig sind.

Der erste echte Reformversuch nach Jahrzehnten

Nach Jahrzehnten des Ignorierens hat die Weltgemeinschaft 2012 damit begonnen, diese Probleme anzugehen. Das Ergebnis war eine Einigung im Rahmen der OECD von über 130 Staaten und Jurisdiktionen, das globale System der Unternehmensbesteuerung zu reformieren. (2) Um die globale Verteilung des Steuerkuchens fairer zu gestalten, wurde den Ländern des Globalen Südens zugesichert, dass sie einen größeren Anteil der globalen Besteuerungsrechte erhalten sollten als bisher. Um den Steuermissbrauch der MNU zu begrenzen, wurde eine globale Mindeststeuer vereinbart.Über die Ziele der Reform gab es von Anfang an sehr unterschiedliche Vorstellungen. Die Länder des Globalen Südens wollten vor allem eine fairere Verteilung der Besteuerungsrechte und auch viele Länder des Globalen Nordens wollten zumindest die Gewinne der Digitalkonzerne neu verteilen. Weil das im jetzigen System schwer möglich ist, forderten einige sogar den kompletten Systemwechsel hin zu einer Gesamtkonzernsteuer, bei der Unternehmensgewinne verschiedenen Ländern anhand einer Formel zugerechnet (bspw. nach Anzahl an Angestellten, Umsätzen etc.) und dort jeweils besteuert werden. Am Ende hat sich vor allem die von Deutschland und den USA eingebrachte Mindeststeuer durchgesetzt, die Missbrauch und schädlichen Steuerwettbewerb im jetzigen System begrenzen soll.

Die Verteilungsfragen werden nur scheinbar gelöst

Nichtsdestotrotz beinhaltet die OECD-Vereinbarung Lösungsansätze für beide Probleme. Die Neuverteilung von Besteuerungsrechten zugunsten von Marktstaaten soll wie folgt angegangen werden: Die 100 umsatzstärksten und profitabelsten Unternehmen der Welt zahlen einen kleinen Teil ihrer Steuern zukünftig nicht mehr im Land des Konzernsitzes, sondern in den Marktstaaten, in denen sie operieren. Für alle anderen Unternehmen, die nicht zu den betroffenen 100 größten und profitabelsten gehören, bleibt das Meiste beim Alten. Unterm Strich also nicht der Schritt, den sich viele Länder des Globalen Südens erhofft hatten. Im Austausch für diese Minimallösung verpflichten sich die Länder, die die Vereinbarung mittragen, dazu, von unilateralen Digitalsteuern abzusehen. Die Länder, die eine solche bereits eingeführt hatten, verlieren möglicherweise sogar Steuereinnahmen.

Um den Anreiz zu verringern, Gewinne in eine Steueroase zu verschieben, sieht die Vereinbarung eine Mindeststeuer von 15 % vor. Das bedeutet, dass ein MNU in jedem Land in dem es weltweit tätig ist, effektiv mindestens 15 % Steuern zahlen soll. Das Instrument funktioniert allerdings über einen Umweg: Zahlt ein Unternehmen in Staat A nur 10 % Steuern, kann Staat B die fehlenden 5 % einziehen, ähnlich der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung. Dabei gibt es zahlreiche Probleme: Der effektive Steuersatz von 15 % ist viel zu niedrig, um Gewinnverschiebung zu unterbinden. Viele Länder des Globalen Südens haben bereits deutlich höhere effektive Steuersätze. (3) Zudem ermöglichen es diverse Ausnahmen bestimmten Unternehmen, die Regelung zu umgehen. (4) Außerdem deutet alles darauf hin, dass diese Ausnahmen bei der Umsetzung noch vergrößert werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer die Zusatzeinnahmen aus der Mindeststeuer erhält: die Länder des Konzernsitzes oder die Länder, aus denen die Gewinne abfließen? Nach der ursprünglichen Einigung der G20 waren es wenig überraschend vor allem Industrieländer mit Konzernsitz. In letzter Minute haben sich dann auch die europäischen Steueroasen über die qualifizierte nationale Mindeststeuer noch ihren Teil vom Kuchen gesichert und müssen dafür nicht einmal ihren Steuersatz erhöhen. Viele Länder des Globalen Südens gehen komplett leer aus.

Obwohl das Zustandekommen einer internationalen Vereinbarung dieser Dimension an sich bereits als Erfolg gewertet werden kann, erweist sich das Ergebnis für viele Länder des Globalen Südens insgesamt als ernüchternd. Einige von ihnen sollten sich gut überlegen, ob sie die Vereinbarung tatsächlich umsetzen oder nicht besser doch auf unilaterale Maßnahmen wie Digitalsteuern zurückgreifen. Darüber hinaus könnte die globale Umsetzung der Vereinbarung noch an den USA und Bidens mangelndem Durchsetzungsvermögen im dortigen Senat scheitern. Diese Aspekte verdeutlichen mehr als eindrücklich, dass die Reform des globalen Steuer- und Finanzsystems noch lange nicht abgeschlossen ist und dass mutigere Schritte notwendig sind, wenn wir der globalen Ungleichheit etwas entgegensetzen wollen

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1 Das sind teilsouveräne Gebiete wie bspw. die britischen Kaimaninseln.

2 OECD (2021): Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy.

3 South Centre (2022): Global Minimum Tax Rate: Detached from Developing Country Realities.

4 EU Tax Observatory (2021): Revenue Effects of the Global Minimum Tax: Country-by-Country Estimates.

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