EU-Kommission zieht länderspezifischen Konzernberichten die Zähne

Die deutsche Bundesregierung unter der Federführung des Finanz- und
Justizministeriums blockiert traditionell Anstrengungen für mehr
Konzerntransparenz, die das Ausmaß der Gewinnverlagerungen in
Steueroasen und die Verluste für Entwicklungsländer aufdecken könnten
(wir berichteten hier).

Nun hat sie sich offenbar unter Kommissionspräsident Juncker weitgehend durchsetzen können. Aus einer durchgesickerten Version des für Mitte April 2016 erwarteten Kommissionsvorschlags für öffentliche länderspezifische Berichtspflichten geht hervor, dass von diesem Vorschlag nichts mehr in punkto Transparenz zu erwarten sein dürfte (hier EU-Vorschlag, FT-Artikel, Blog).

Öffentliche länderspezifische Berichtspflichten für Konzerne wären der
Anfang ernsthafter Bemühungen, um Steuervermeidung und illegale
Willkür-Steuergeschenke aufzudecken (wie etwa bei LuxLeaks)
und einzudämmen. Diese Berichtspflichten würden für alle Länder, in
denen Konzerne aktiv sind, wichtige Kennzahlen über deren
Wirtschaftsaktivität, Gewinne und Steuerzahlungen offenlegen. Im
EU-Bankensektor gibt es schon ähnliche Pflichten, und letzte Woche
legten französische NGOs eine Studie vor, die das Ausmaß der
Gewinnverlagerungen anhand dieser Daten aufzeigte. Ein Ergebnis etwa
war, dass die Tochterunternehmen auf den Kaiman-Inseln der vier
untersuchten französischen Banken €45 Mio. Gewinn erzielt haben – ohne
einen einzigen Angestellten (siehe hier). Um solche Untersuchungen auch für andere Wirtschaftssektoren vorzunehmen, müssten öffentliche länderspezifische Berichtspflichten eingeführt werden.

Entgegen des Votums des EU-Parlaments vom 8. Juli 2015 beschränkt die EU-Kommission nun aber die Reichweite der Berichtspflichten auf die EU-Mitgliedsstaaten. Für alle nicht-EU Staaten hingegen, also alle Steueroasen und Entwicklungsländer, dürfen Konzerne die Daten aller Länder zu einer einzigen Zahl zusammenfassen. Damit wird Gewinnverlagerungen in Steueroasen außerhalb der EU eine blickdichte Decke übergeworfen, ebenso wie über die Verluste von Entwicklungsländern.

Steueroasen von diesen Berichtspflichten auszunehmen ist etwa so, als würde man eine Gurtpflicht auf Strecken innerhalb geschlossener Ortschaften einführen, die jedoch nicht für Landstraßen oder Autobahnen zu gelten habe. Das Beispiel mit den Kaiman-Inseln oben wäre also nicht mehr recherchierbar – man könnte nur noch eine einzige Zahl aller Nicht-EU Töchter für Angestellte und für Gewinne erkennen. Zu wissen dass ein Unternehmen in Kaiman und in zich anderen Staaten tausende Angestellte und Milliardengewinne macht, ist völlig wertlos. Statt länderspezifischer Berichtspflichten kann man hier nur noch von pro-Forma EU-Berichtspflichten sprechen.

Dabei wäre es nicht schwer, eine Gesamtkonzernreichweite, wie vom EU-Parlament gefordert, einzuführen, und diese auch nicht-EU Konzernen abzuverlangen. Somit käme es in keinem Fall zu Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen mit Hauptsitz in der EU: Die EU könnte schlicht verlangen, dass alle Unternehmen, auch jene, die in der EU nur Tochterunternehmen oder Niederlassungen haben, für den Gesamtkonzern die relevanten Daten einreichen und dann veröffentlichen müssen. Eine so direkte Verpflichtung von Rechtspersonen, auf deren weltweite Firmendaten zurückzugreifen, ist keineswegs neu. Bei der Umsetzung der nicht-öffentlichen länderspezifischen Berichtspflichten, wie sie von der OECD verabschiedet wurden, hat Australien (und man sagt auch China) genau das festgelegt. Ein Unternehmen, das außerhalb von Australien seinen Hauptsitz hat aber in Australien über Tochterunternehmen aktiv ist, kann dort über diese verpflichtet werden, den weltweiten Bericht einzureichen. Rechtlich scheint damit in Australien niemand Probleme zu haben, das Gesetz wurde verabschiedet und ist seit 1. Januar 2016 in Kraft.

Während die USA zu verhindern versuchen, dass in der EU öffentliche Berichtspflichten für US-Konzerne eingeführt werden, haben doch die USA selbst mit dem US-FATCA Gesetz das Prinzip der extraterritorialien Anwendung innerstaatlichen Rechts bei Finanz- und Steuerstandards umzusetzen begonnen. Zur Erinnerung: das FATCA-Gesetz verpflichtete Banken weltweit, sensible Kontendaten von US-Steuerpflichtigen an die US-Steuerbehörde zu melden (Details hier). Wenn sich ein Finanzinstitut weigerte, dann drohte diesem eine 30%ige Strafsteuer auf US-Finanzgeschäfte. In Windeseile begannen Banken darum weltweit, ihre Regierungen zu lobbieren, doch bitte schnellstmöglich mit den USA die rechtlichen Möglichkeiten zur Herausgabe dieser Daten zu schaffen. Der Rest ist Geschichte, der automatische Informationsaustausch hat sich weltweit durchgesetzt (siehe etwa hier).

Um wie viel einfacher dürfte es nun sein, aggregierte Konzernfinanzdaten, die keineswegs nur steuerlich begründet sind, sondern deren Veröffentlichung in der Konzernbilanzierung längst erlaubt und vorgesehen sind, öffentlich nach einem bestimmten Format einzufordern? Warum verzichtet die EU-Kommission auf volle Transparenz nicht nur für Konzerne mit Sitz in der EU, sondern für alle, die
in der EU Tochterunternehmen haben? Warum sträubt sich Schäuble so sehr gegen diese Transparenz?

Die beispielhaften Zahlen zu den Kaiman-Inseln deuten auf
Gewinverschiebungen hin, die sich rechtlich in einer Grauzone zwischen
Legalität und Strafbarkeit bewegen mögen. Aus Sicht ehrlicher
SteuerzahlerInnen, WählerInnen und KonsumentInnen aber spielt die
Legalität nur eine untergeordnete Rolle – schließlich haben Konzerne
schon viele Jahre die Gesetze maßgeblich mitbeeinflusst und können nun
mit Heerscharen an Anwälten aufwarten, um beinahe jede Position als
legal durchzufechten. Für die DurchschnittsbürgerIn wäre es deshalb mehr
als wünschenswert, diese Daten auch für deutsche Unternehmen jenseits
des Bankensektors zu kennen. Wer möchte schließlich schon Autos oder
Sportartikel von einem Unternehmen kaufen, das ohne Angestellte vorgibt,
Gewinne zu erwirtschaften um seine Steuerlast zu drücken?

Wer Gründe sucht, weshalb das Glas auch nach diesem enttäuschenden Vorschlag der EU-Kommission halb voll ist, dem sei die Lektüre des Blogs von TJN’s Forschungsdirektor Alex Cobham empfohlen (hier).

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