Lernen vom Cum-Ex-Steuerskandal

Einige Steuerskandale sind in den letzten Jahren prominent in den Medien behandelt worden. Besonders die Panama Papers mit ihren weltweiten Folgen für einige berühmte Persönlichkeiten waren weit oben in der öffentlichen Wahrnehmung. Ein Steuerskandal, der besonders den deutschen Fiskus betrifft, fliegt jedoch manchmal unter dem Radar: die Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte eines Syndikats von Finanzjongleuren, die den Staat zwischen 2001 und 2016 etwa 30 Milliarden Euro gekostet haben.
Beteiligt waren Händler von weit mehr als einhundert deutschen Banken, Steuerberater, Rechtsanwälte und ein Who‘s who deutscher Superreicher als Investoren. Organisiert wurden die Geschäfte von einem ehemaligen Mitarbeiter der hessischen Finanzverwaltung, der seine Kenntnisse anschließend als Anwalt zu Geld gemacht hat – mit kräftigen Griffen in die Kasse seines früheren Arbeitgebers.
Der Vergleich mit dem deutschen Bundeshaushalt macht die Dimension klar: 30 Milliarden Euro entsprechen in etwa den Ausgaben für drei Jahre Instandsetzung und Bau von Bundesfernstraßen. Gesetzgeber und Finanzbehörden haben dabei nach Ansicht vieler Beobachter über Jahrzehnte eine äußerst unrühmliche Rolle gespielt. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über diesen größten Steuerskandal der deutschen Geschichte und zeigt die Probleme im Steuersystem auf, die diesen ermöglicht haben.
Was sind Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte
Die sperrigen Namen verstecken komplizierte Konzepte – zu komplex nicht zuletzt für manche Finanzbeamte und Politiker. Die Namen leiten sich von den Ausdrücken für Aktien mit (lateinisch: „cum“) und ohne (lateinisch: „ex“) Dividende ab.
Cum-Cum-Geschäfte sind weniger ausgeklügelt, was jedoch ihre Konsequenzen für den Fiskus nicht schmälert. Schätzungen eines Finanzwissenschaftlers beziffern den Schaden mit mindestens 24,6 Milliarden Euro in den Jahren von 2001 bis 2016, wobei der maximale potenzielle Schaden bei 82 Milliarden Euro liegt. Das Konzept funktioniert folgendermaßen: Ein ausländischer Inhaber von Aktien eines deutschen Unternehmens muss auf Dividenden eine Kapitalertragsteuer von zwischen 15 % und 25 % abführen. Deutsche Aktieneigentümer können sich die Steuer jedoch vom Staat erstatten lassen, da sie bereits Einkommens-, bzw. Körperschaftssteuer bezahlen. Um die Steuer zu vermeiden, transferierten ausländische Aktieninhaber ihre Anteile daher kurz vor dem Dividendenstichtag an einen deutschen Komplizen, der nach Erhalt der Steuerbescheinigung die Aktien wieder zurück verkaufte. Der Gewinn wurde geteilt – und der deutsche Fiskus ging leer aus.
Cum-Ex-Geschäfte basieren ebenfalls auf dem Konzept, unrechtmäßige Steuererstattungen zu generieren. Es sind jedoch weitere Schritte zwischengeschaltet, die dafür sorgen, dass dem Staat nicht nur eine fällige Steuerzahlung entgeht, sondern er auch noch draufzahlt. Es wird somit aktiv Geld aus der Staatskasse entwendet, mit weitreichenden Konsequenzen für staatliche Investitionen und Unterstützung für bedürftige Mitglieder der Gesellschaft. Die Zeit zitiert dazu aus einem Meeting der Cum-Ex-Bande: „Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch.“
Cum-Ex-Deals basieren auf sogenannten Leerverkäufen. Bei einem Leerverkauf verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer zu einem festgesetzten Datum in der Zukunft Aktien zu transferieren. Die Aktien sind zu dem Zeitpunkt des Leerverkaufs jedoch nicht in der Hand des Verkäufers. Diese muss er zunächst selbst erwerben, um sie dem Käufer später zur Verfügung zu stellen. Das Cum-Ex-Geschäftsmodell machen sich eine Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs von 1999 zunutze, nach dem der Erwerb von Aktien aus Leerverkäufen den Leerkäufer zu einem weiteren wirtschaftlichen Eigentümer der Aktien macht – zumindest nach der Auslegung der Cum-Ex-Bande. Ein Leerverkauf führt somit dazu, dass es für den Zeitraum zwischen Leerverkauf und Erhalt der Aktien durch den Käufer scheinbar mehrere wirtschaftliche Eigentümer gibt: den Käufer aus dem Leerverkauf und die Person, die besagte Aktien während des Leerverkaufs hält. Diese Situation nutzte das Syndikat aus, um für jeden wirtschaftlichen Eigentümer eine Steuerbescheinigung zu generieren, obwohl die Steuer auf die Dividende nur einmal gezahlt wurde.
Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass solche Geschäfte zu jedem Zeitpunkt illegal gewesen und die Rechtsinterpretation der Bande falsch sei, da es stets nur einen wirtschaftlichen Eigentümer geben könne. Der wirtschaftliche Schaden für den deutschen Staat liegt laut dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Thema (mehr dazu weiter unten) bei etwa 900 Millionen Euro in den Jahren 2005–2011 oder bei 7,2 Milliarden Euro laut dem oben erwähnten Finanzwissenschaftler. 2018 korrigierte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Schätzungen des Untersuchungsausschusses signifikant nach oben, auf nun 5,3 Milliarden. Davon seien 2,4 Milliarden bereits erfolgreich zurückgefordert oder nicht ausgezahlt worden.
Geschichte in Deutschland
Es gibt über die Jahre zahlreiche Warnungen vor Geschäften dieser Art. Einige Gesetzesänderungen verändern die Art der Geschäfte, können ihnen jedoch bis 2012 (Cum-Ex) bzw. 2016 (Cum-Cum) nicht den Riegel vorschieben. Ein erster Bericht zu den Geschäftsmodellen, angefertigt im hessischen Wirtschaftsministerium, stammt aus dem Jahr 1992. Es werden jedoch keine Konsequenzen gezogen, obwohl der Bericht scheinbar bis zum damaligen Finanzminister Hans Eichel gelangt. Im Jahr 2002 weist die Bankenlobby höchstselbst auf Probleme mit der Gesetzgebung im Falle von Cum-Ex-Geschäften hin. Dies führt zu ersten Gegenmaßnahmen, die, in Abstimmung mit dem Bankenverband und seinen teils gegenläufigen Interessen, jedoch lediglich einige Veränderungen am Geschäftsmodell nötig machten. Es folgen vergebliche Versuche zur Nachbesserung. Erst 2012 wird es schließlich technisch unmöglich gemacht, mehrere Steuerbescheinigungen zu generieren.
Die Verschleppung einer effektiven gesetzlichen Lösung und einer zeitigen Überprüfung der Geschäfte – die laut Ministerium schließlich zu jeder Zeit illegal waren – ist nicht zuletzt auf mindestens einen „Maulwurf“ der Bankenlobby im BMF zurückzuführen. Mit der Begründung von Personalknappheit wurde 2004–2008 und 2010 ein damaliger Finanzrichter, der gleichzeitig auf der Gehaltsliste mehrerer Bankenverbände stand, in die Steuerabteilung des BMF abgeordnet. Unter den Finanzministern Steinbrück und Schäuble unterdrückt dieses Schaf im Wolfspelz die Warnungen eines Steuerprüfers. Außerdem übernimmt er ein Schreiben des Bankenverbands fast wortwörtlich als Teil der Gesetzesbegründung für den ersten gesetzlichen Lösungsversuch in 2007. Diese Begründung wird in den kommenden Jahren von der Cum-Ex-Bande als Argument für die angebliche Legalität ihrer Geschäfte genutzt werden (S. 517–520).
Eine systematische Aufklärung der Steuerbehörden der Länder wird 2011 vom BMF gestartet. Es werden Daten zu Cum-Ex gesammelt und die Weisung ergeht, bei Verdacht auf doppelte Erstattung von einmal gezahlten Kapitalertragsteuern die Auszahlung zu verweigern, weitere Informationen zu verlangen und das Geschäft auf Strafbarkeit hin zu untersuchen. Die Cum-Ex-Bande übt daraufhin Druck auf die zuständige Person im Bundeszentralamt für Steuern aus. Die Bande fährt die Strategie, mit einer Masse gefälliger Fachgutachten die Rechtmäßigkeit der Steuererstattungen vorzutäuschen, so widersinnig sie dem gesunden Menschenverstand auch erscheinen. Nichtsdestotrotz laufen bald die ersten Strafverfolgungen durch Generalanwaltschaften an.
Unverständlicherweise dauert es bei Cum-Cum noch vier weitere Jahre, bis die Geschäfte 2016 eindeutig verboten werden. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses bescheinigt der Arbeit des BMF und Dr. Schäubles eine traurige Qualität: „Über die Presse kam [das BMF] auf den zu wählenden Lösungsvorschlag und eine realistische Schätzung der Schadenshöhe … Über eine geeignete Aufarbeitung von Cum/Ex hätte man schon viel früher auf die Cum/Cum-Thematik stoßen können“ (S. 546). Im Klartext: Ohne öffentlichen Druck durch die Presse hätte sich der Staat weiter immense Summen an Steuergeldern entgehen lassen.
Im Februar 2016 wird mit den Stimmen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Cum-Ex initiiert, der auch die Cum-Cum-Gecshäfte beleuchtet. Im Juni 2017 wird der 830-seitige Abschlussbericht im Bundestag verabschiedet, der in weiten Teilen die frühere journalistische Aufklärung untermauert.
Die Geschichte endet hier jedoch nicht. 2018 soll der erste Strafprozess wegen Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften beginnen–geführt gegen Berger und fünf Händler der HypoVereinsbank. Noch ist über die gerichtliche Zulassung der Klage nicht entschieden. Der Prozess könnte Klarheit schaffen, ob die Einschätzung der Bundesregierung vor Gericht standhält, dass Cum-Ex-Geschäfte jederzeit gesetzeswidrig waren.
Im Februar 2018 bestätigt die Bundesregierung weitgehend frühere Medienberichte, dass die Hamburger Finanzaufsicht erst nach Anweisung durch den Bundesfinanzhof verjährungsunterbrechende Maßnahmen bezüglich der Cum-Ex-Deals der prestigeträchtigen Warburg-Bank eingeleitet hat. Die Hamburger Behörde war laut NDR im Begriff, die Möglichkeit auf Rückforderungen in Höhe von etwa 190 Millionen Euro verstreichen zu lassen. Die Eigentümerfamilien der Bank sind in Hamburg gut vernetzt, haben unter anderem die Elbphilharmonie mitfinanziert. Diese Episode unterstreicht, dass Aufsichtsbehörden sich selbst überlassen Anreizen nachgeben können, welche dem öffentlichen Wohl entgegenlaufen – kurz Klüngel.
Die Schuldfrage und was getan werden kann
Einig ist man sich in der Politik über die Schuld großer Teile der deutschen Finanzbranche und der Cum-Ex-Bande, bestehend aus einigen Steuerberatern und Rechtsanwälte. Dass ein Potpourri deutscher Banken in die deutsche Staatskasse greift, obwohl interne Einschätzungen die Geschäftsmodelle als wahrscheinlich illegal einschätzen, ist heutzutage scheinbar kaum noch der Rede wert. Besonders delikat ist allerdings das Detail, dass die Aktivitäten gerade in Zeiten der staatlichen Bankenrettung auf ein neues Level gehoben wurden.
Landesbanken beteiligten sich ebenfalls an den Geschäften. Hier fehlte auf Länderebene jegliche effektive Aufsicht, was sich ebenfalls im oben genannte Beispiel aus Hamburg offenbart. Steuerfahndungen sind oft unterbesetzt, was sich in Verjährungen der Delikte und einer niedrigen Strafverfolgungsquote im internationalen Vergleich niederschlägt. Ein Ende der Personalknappheit könnte wohl auch im Fall der Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte große Mehreinnahmen für den Staat generieren.
Erschreckend ist besonders die Lethargie, mit der die Warnungen vor hohen Steuerverlusten über Jahrzehnte ignoriert wurden. Statt Whistleblowern wurde der Bankenlobby stets ein offenes Ohr geschenkt. Eine Konsequenz aus dem Cum-Ex-Steuerskandal muss daher die Beendigung der engen Zusammenarbeit mit Lobbyorganisationen bei Gesetzesvorhaben sein. Personen mit gegenläufigen Interessen dürfen keinen privilegierten Zugang zum Gesetzgeber haben. Anderenfalls werden Steuergerechtigkeit und adäquate Regulierung der Finanzbranche wohl Fremdwörter bleiben.
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