PM: Länderspezifische Konzernberichte – EU-Kommissionsvorschlag enttäuscht auf ganzer Linie
Gemeinsame Presseerklärung von Tax Justice Network und Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland, 11. April 2016
Länderspezifische Konzernberichte: EU-Kommissionsvorschlag enttäuscht auf ganzer Linie
Die EU-Kommission hat heute ihren lange angekündigten Vorstoß für öffentliche Konzernberichte vorgestellt. Nach einer ersten Durchsicht zeigt sich, dass dieser die schlimmsten Befürchtungen noch übertrifft. Deshalb muss die EU-Kommission diesen dringend mit einem ernstzunehmenden Vorschlag ergänzen, um verlorene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.
Öffentliche länderspezifische Berichtspflichten für Konzerne (siehe Details hier) wären der Anfang ernsthafter Bemühungen, um Steuervermeidung und illegale Willkür-Steuergeschenke aufzudecken (wie etwa bei LuxLeaks) und einzudämmen. Diese Berichtspflichten würden für alle Länder, in denen Konzerne aktiv sind, wichtige Kennzahlen über deren Wirtschaftsaktivität, Gewinne und Steuerzahlungen offenlegen. Im EU-Bankensektor gibt es schon ähnliche Pflichten, und vor wenigen Wochen legten französische NGOs eine Studie vor, die das Ausmaß der Gewinnverlagerungen anhand dieser Daten aufzeigte. Ein Ergebnis etwa war, dass die Tochterunternehmen auf den Kaiman-Inseln der vier untersuchten französischen Banken €45 Mio. Gewinn erzielt haben – ohne einen einzigen Angestellten (siehe hier). Um solche Untersuchungen auch für andere Wirtschaftssektoren vorzunehmen, müssten öffentliche länderspezifische Berichtspflichten eingeführt werden.
Die Öffentlichkeit kann Konzerne durch Reputationsrisiken dazu bringen, ihre Steuervermeidung im Lichte der Transparenz an ethischen Maßstäben auszurichten. Weil sie die Aufdeckung großer Vermeidungstaktiken befürchten, bieten schon jetzt findige Steuerberater Konzernen eine „Länderspezifische Berichtssimulation“ an, um Anpassungen rechtzeitig vornehmen zu können.
Seitdem diese öffentlichen Berichtspflichten bei einem Votum des EU-Parlaments vom 8. Juli 2015 in EU-Gesetzgebung gegossen werden soll, stellt sich die Bundesregierung jedoch konsequent quer und wirbt offen gegen wirksame öffentliche Berichtspflichten der Konzerne. Die Bundesregierung gilt inzwischen europaweit als maßgeblicher Blockierer öffentlicher Konzernberichte.
Nun zeigt sich, dass die Bundesregierung sich offenbar unter Kommissionspräsident Juncker weitgehend hat durchsetzen können. Ganz ähnlich wie schon bei den Firmenregistern wird auch hier die Wirkung völlig verpuffen und ihre Transparenzwirkung vollkommen verfehlen.
Denn der Vorschlag der EU-Kommission beschränkt die Reichweite der Berichtspflichten auf EU-Mitgliedsstaaten sowie bestimmte, auf einer schwarzen Liste geführte Steueroasen. Für die Konzernaktivitäten aller nicht-EU Staaten hingegen, also alle übrigen Steueroasen und Entwicklungsländer, dürfen Konzerne die Daten aller Länder zu einer einzigen Zahl zusammenfassen. Damit wird Gewinnverlagerungen in Steueroasen außerhalb der EU eine blickdichte Decke übergeworfen, ebenso wie über die Verluste von Entwicklungsländern.
Darüber hinaus enthält der Kommissionsvorschlag noch weitere, entscheidende Schwächen, die allesamt im Weiteren behoben werden dürfen.
- Konsolidierung der Daten abhängiger Gebiete unter dem Dach des jeweiligen EU-Mitgliedsstaats nach Art. 48c(3) bedeutet, dass die EU ihren eigenen abhängigen notorischen Steueroasen eine Blanko-Ausnahme verschafft. Steuervermeidungsaktivitäten sollen so offenbar in diese Gebiete angezogen werden.
- Die Wirkungsanalyse der Vorschläge wird von der EU-Kommission offenbar nicht veröffentlicht. Das ist sehr bedenklich, weil sie die Grundlage für diesen Vorstoß darstellt, und eine ähnliche Analyse für öffentliche Berichte im Bankensektor klar gemacht hatte, dass keine Wettbewerbsnachteile für EU-Firmen zu befürchten seien.
- Anstatt alle Daten wirtschaftlicher Aktivität wie im OECD-Standard vorgesehen zu erfassen, nimmt die EU-Kommission hier willkürlich entscheidende Daten von der Berichtspflicht aus. So fehlen Investitionen, die vollständige Liste der Tochterfirmen sowie erhaltene Subventionen.
Karl-Martin Hentschel, Vertreter von Attac im Koordinierungskreis Netzwerk Steuergerechtigkeit, sagte:
„Dieser Vorschlag der EU-Kommission ist löchriger als ein Schweizer Käse. Wenn Europa es ernst mein, das Vertrauen seiner Bürger zurückzugewinnen, dann gehört dieser Vorschlag in den Papierkorb der Geschichte.”
Markus Meinzer, Vorstandsmitglied von TJN, sagte:
„Seit 20 Jahren versucht sich die OECD auf gemeinsame Steueroasen-Kriterien zu einigen – erfolglos. Die schwarze Liste der OECD 2009 war innerhalb einer Woche leer. Bis heute steht auf der deutschen Liste kein einziger Staat. Die EU hat ihre jüngste Steueroasenliste im Oktober 2015 aus dem Netz genommen, zu groß wurde der Druck der Oasen angesichts der offenbaren Inkonsistenzen und Auslassungen. Wie in aller Welt kommt die EU-Kommission also auf die Idee, dass eine gemeinsame Liste von Steueroasen eine sinnvolle Idee sein könnte? Wird Europa jemals etwa die USA, Hong Kong oder Singapur auf eine Liste setzen?“.
Lisa Großmann, Koordinatorin des Netzwerk Steuergerechtigkeit, sagte:
„Statt Konzernsteuerflucht ans Licht zu bringen, plant die EU offenbar einen Mantel des Schweigens über dessen Ausmaß zu breiten. Damit macht sie sich zum Gehilfen der Steuerunehrlichen, die rechtliche Grauzonen schamlos austesten.
Nur wenn die deutsche Regierung endlich beginnt, die Öffentlichkeit ernst zu nehmen und als wichtiges Korrektiv im Angesicht institutioneller Korruption epischen Ausmaßes ins Boot zu holen, könnte das nächste Leak ausbleiben.“
Kontakte:
Karl-Martin Hentschel: +49 151 59084268
Markus Meinzer: +49 178 3405673
Lisa Großmann, Koordinatorin Netzwerk Steuergerechtigkeit: +49 30 2758 2614
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