Vermögensteuer: Verfassungsrechtlich unproblematisch
Seit 1996 ist die Vermögensteuer ausgesetzt. Das Grundgesetz steht der Erhebung jedoch nicht entgegen, so das Ergebnis eines neuen Rechtsgutachtens des Verfassungsrechtlers Alexander Thiele im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Angesichts der großen finanziellen Aufgaben ist die Steuer verfassungsrechtlich gut begründbar. Zudem hat die soziale Ungleichheit in Deutschland ein Ausmaß erreicht, das eine Vermögensteuer nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich eher nahelegt. Dieses Ergebnis ist für die politische Debatte um Steuergerechtigkeit von besonderer Bedeutung. Daher fasst der folgende Beitrag die wesentlichen Argumente und Ergebnisse Thieles zusammen.
A. Problem
Der Finanzbedarf der Bundesrepublik Deutschland steigt wegen temporärer Krisen wie der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg sowie dauerhafter Herausforderungen wie der Klimakrise stetig. Insbesondere letztere könne laut Thiele nach gegenwärtiger Rechtslage (Schuldenbremse, Art. 109 GG) nicht durch die Aufnahme von Schulden bewältigt werden – außerdem wäre diese Vorgehensweise nicht „sonderlich nachhaltig“. Daher könne es erforderlich sein, die gebotenen Mehreinnahmen über Steuern zu finanzieren. Hierfür stelle die schärfere Besteuerung der Wohlhabenden eine Option dar. Auf diese Weise könne gleichzeitig das Problem der wachsenden Vermögensungleichheit gelöst – oder zumindest verringert – werden. Die noch klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Bewertung einer Vermögensteuer verhindere jedoch eine ernsthafte politische Auseinandersetzung mit der Thematik. Daher sei es geboten, deren verfassungsrechtlichen Rahmen zu erörtern.
B. Vergangenheit: „Einfrierung“ der Vermögensteuer
Eine Vermögensteuer hat es bereits im Mittelalter gegeben. Sie ist mit der Annahme gerechtfertigt worden, dass im Vermögen eine besondere individuelle Leistungsfähigkeit liegt. Auch im Verlauf der Geschichte hat die Vermögensteuer nie gänzlich an Bedeutung verloren. Im Jahr 1974 wurde im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens die Einführung einer Vermögensteuer damit begründet, dass mit dem Vorhandensein eines beachtlichen Vermögens die Möglichkeiten und die Effektivität wirtschaftlicher Betätigung gefördert und erweitert werden. Daher wurde hierin eine besondere steuerliche Leistungsfähigkeit gesehen, die auch aus sozial- und gesellschaftspolitischen Gründen zusätzlich besteuert werden müsse (BT-Drs. IV/3418, 49).
Im Jahr 1992 wurde eine Regelung des damals geltenden Vermögensteuergesetzes als verfassungsrechtlich problematisch angesehen, sodass das BVerfG in seinem „Vermögensteuer-Beschluss“ (BVerfGE 93, 121) hierüber zu entscheiden hatte. Es stellte fest, dass die konkrete umstrittene Regelung – nicht die Vermögensteuer an sich – gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Außerdem lasse sich aus der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1, 2 GG) der steuerrechtliche Zugriff auf das Eigentum beschränken (sog. Halbteilungsgrundsatz). Während das erste Argument dogmatisch vom entscheidenden Senat und der herrschenden Lehre unterstützt wurde, stieß die Argumentation mit der Eigentumsgarantie auf Widerstand. Das Gericht überschreite seine Kompetenz und verenge den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dies monierte insbesondere Richter Böckenförde in seiner abweichenden Auffassung (BVerfGE 93, 121 (150 ff.)). Auch das BVerfG hat sich bereits wenige Jahre später hiervon distanziert (BVerfGE 115, 97 (109)). Insgesamt stehe das Grundgesetz daher einer stärkeren Besteuerung des Eigentums aufgrund dessen Sozialpflichtigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Auch eine Vermögensbesteuerung als solche wird vom BVerfG nicht abgelehnt; streitig war bloß die konkrete Ausgestaltung.
Vieles spreche nach Thiele dafür, dass auch eine verfassungsrechtliche Begrenzung auf eine (Soll-)Ertragsteuer nicht zu rechtfertigen sei. Ebenso dürfe die Bedeutung des Vermögensteuer-Beschlusses für die aktuelle Diskussion nicht überbewertet werden, da die Veränderung ökonomischer und gesellschaftlicher Paradigmen und gewandelter Wertvorstellungen eine kontextabhängige rechtliche Beurteilung erfordern.
C. Gegenwart: Möglichkeit der Wiedereinführung einer Vermögensteuer
I. Kompetenz
Die Vermögensteuer wird im Grundgesetz ausdrücklich genannt, womit die Annahme einer grundsätzlichen Zulässigkeit bestätigt ist. Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG weist die Ertragshoheit den Ländern zu. Die Gesetzgebungskompetenz für eine Vermögensteuer liegt damit grundsätzlich bei den Ländern (Art. 105 Abs. 2 GG). Aufgrund der drohenden Rechtszersplitterung kann sie aber auch vom Bund wahrgenommen werden (Art. 72 Abs. 2 GG), womit in der Konsequenz dann eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung einhergehen würde. Problematisch sei jedoch, dass das BVerfG in seinem Vermögensteuer-Beschluss lediglich eine Unanwendbarkeit des bisherigen Vermögensteuergesetzes angeordnet hat. Formal besteht dieses Bundessteuergesetz fort, womit sich die Frage aufdrängt, ob hiermit weiterhin eine Sperrwirkung der Landeskompetenzen einhergeht. Dies ist im verfassungsrechtlichen Schrifttum umstritten. Thiele argumentiert, dass insbesondere funktionell-rechtliche Gründe auf eine fortbestehende Sperrwirkung hindeuteten. Überdies spreche sich der Gesetzgeber mit dem formalen Fortbestehen des Vermögensteuergesetzes gegen die Erhebung einer Vermögensteuer aus, was eine gleiche Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber bewirken müsse. Daher seien die Landesgesetzgeber gegenwärtig daran gehindert, eine eigene Vermögensteuer einzuführen.
II. Rechtfertigung
Steuern müssen sich als konstitutives Element der Gesellschaft rechtfertigen lassen. Dies ist eine Frage der Gerechtigkeit. Bei Neueinführung einer Steuer muss auch das bereits existente Steuersystem, insb. die Einkommensteuer, berücksichtigt werden.
1. Leistungsfähigkeitsprinzip
Die entscheidende Rolle bei der verfassungsrechtlichen Bewertung spielt das Fundamentalprinzip der Besteuerung: das Leistungsfähigkeitsprinzip. Im Vermögen drücke sich eine besondere Leistungsfähigkeit aus, die von der Einkommensleistungsfähigkeit zu unterscheiden sei. Auch die steuerliche Verfügung über die gesteigerte Verfügungsmacht über Geld oder Sachgüter könne gerechtfertigt werden. Auch das BVerfG hat klargestellt, dass der „ruhende Bestand des Vermögens“ einen Anknüpfungspunkt für eine Steuer darstellen kann (BVerfGE 93, 121 (134)).
2. Sozialstaatsprinzip
Zudem könne die Vermögensteuer ein Umverteilungsinstrument darstellen, um die Vorgaben des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) zu erfüllen. Es sei nicht zu verkennen, dass eine „erhebliche soziale Ungleichheit zugleich ein Problem aus demokratietheoretischer Sicht darstellt, da sie in einem engen Zusammenhang zum demokratischen Grundversprechen – der politischen Gleichheit – steht“. Eine Ungleichverteilung von Ressourcen und Vermögen sei begründungsbedürftig, aber auch begründungsfähig. Die Begründungsfähigkeit sei jedoch nicht mehr gegeben – mit der Folge eines demokratietheoretischen Problems – wenn eine rationale Begründung nicht mehr ersichtlich ist. Vermögensungleichheit sei damit im Grundsatz kein Problem, aber es könne zu einem werden, wenn sie einer gesellschaftlich anerkannten Rechtfertigung nicht (mehr) standhält. Damit könne auch das Sozialstaatsprinzip für eine weitergehende Rechtfertigung fruchtbar gemacht werden, um die Sicherung der notwendigen demokratischen Gleichheit zu sichern. Inwiefern dies in Deutschland gegenwärtig der Fall ist, sei letztlich eine politische Frage.
D. Zukunft: Grenzen der Vermögensteuer
Die Ausgestaltung der Besteuerungsordnung hängt stark mit dem staatlichen Finanzbedarf zusammen. Bei der Einführung einer Vermögensteuer steht dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum zu, welcher jedoch grundrechtlich konturiert wird.
Im Steuerrecht spielt insbesondere der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG eine überragende Rolle. Der Gedanke der gleichen Lastenverteilung spielt damit eine maßgebliche Rolle für die verfassungsrechtliche Bewertung eines Steuergesetzes. Demgegenüber bereitet die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, welches den Freiheitsgrundrechten innewohnt, Schwierigkeiten (vgl. BVerfGE 115, 97 (115)).
a) Gleichheitssatz
Der Gleichheitssatz stelle daher „die Achillesferse für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer“ dar. Im Steuerrecht folgt aus dem Gleichheitssatz das Leistungsfähigkeitsprinzip, woraus sich das Erfordernis der horizontalen (Gleichbesteuerung gleicher Leistungsfähigkeit) und vertikalen Gerechtigkeit (Gerechte Besteuerung unterschiedlicher Leistungsfähigkeiten) ableiten lässt. Insbesondere hinsichtlich der Umsetzung letzterer steht dem Gesetzgeber ein weitreichender Gestaltungsspielraum zu; die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich auf sachwidrige, willkürliche Erwägungen. Einen konkreten Steuersatz oder eine Steuerprogression legt das Grundgesetz nicht fest. Bei der Ausgestaltung einer Vermögensteuer sei nach Thiele jedoch zu beachten, inwieweit Betriebsvermögen einbezogen werden sollte, wie die Vermögensbestandteile zu bewerten seien und wie der effektive Steuervollzug sichergestellt werde.
Die (teilweise) Verschonung von Betriebsvermögen könne aus wirtschaftspolitischen Gründen sinnvoll sein. Das BVerfG erlaubt dem Gesetzgeber steuerliche Verschonungen, wenn er hiermit Förderungen oder Lenkungen zugunsten des Gemeinwohls verfolgt (BVerfGE 138, 136 (181 f.)). Im Ergebnis bedeute dies für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, dass jedenfalls die Möglichkeit bestehe, Betriebsvermögen durch Steuervergünstigungen zu privilegieren. Eine gänzliche Ausnahme ließe sich – da auch hierin eine Leistungsfähigkeit läge – vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes jedoch nicht rechtfertigen.
Es ist erforderlich, dass die einzelnen Vermögensbestandteile in ihrer Wertigkeit nach gleichen Kriterien erfasst werden. Ansonsten wird nicht gewährleistet, dass die mit dem Vermögensbesitz einhergehenden besonderen Leistungsfähigkeiten gleich erfasst und abgeschöpft werden. Schon die Bemessungsgrundlage muss der Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg Rechnung tragen (BVerfGE 93, 121 (143)). Bei der Wertermittlungsmethode verbleibt dem Gesetzgeber aber dennoch ein Gestaltungsspielraum. Er darf auf Typisierungen und Pauschalierungen insoweit zurückgreifen, als sie nicht zu Bewertungsschwankungen von über 20 Prozent führen (BVerfGE 117, 1 (46)). Wenngleich mit großen Unsicherheiten und einem erheblichen Aufwand zu rechnen ist, seien die verfassungsrechtlichen Bewertungsprobleme laut Thiele „keineswegs unlösbar“.
Die Erhebung einer Vermögensteuer sei in besonderer Weise von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen abhängig. Diese Vollzugsschwierigkeiten – und die damit einhergehenden Gleichheitsprobleme – könnten es rechtfertigen, die Vermögensteuer als Sollertragsteuer auszugestalten. Die zu erwartende Vollzugsungleichheit beschränke sich dann auf ein akzeptables Niveau. Der Sollertrag sei hierbei nicht der steuerrechtliche Anknüpfungspunkt, sondern lediglich eine schonende Form der Abbildung der im Vermögen liegenden Leistungsfähigkeit.
b) Eigentumsgarantie
Der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1, 2 GG ist nur dann eröffnet, wenn die Steuern eine erdrosselnde Wirkung auf den Steuerpflichtigen haben. Der Schutz des Vermögens als solches vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten wird nicht von der Eigentumsfreiheit erfasst (BVerfGE 75, 108 (154)). Eine Vermögensteuer werfe daher nach Thiele insbesondere keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf, wenn sie als Sollertragsteuer ausgestaltet ist. Auch für die Ausgestaltung als Substanzsteuer postuliere Art. 14 Abs. 1 GG keine absolute Grenze. Der konkrete besondere Finanzbedarf, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die demokratietheoretische Relevanz politischer Gleichheit seien hier Parameter, die als gesellschaftliche Rahmenbedingungen für eine Substanzbesteuerung sprechen könnten. Dem Steuerpflichtigen muss jedoch ein privater Nutzen bleiben (BVerfGE 115, 97 (114)).
E. Ergebnis
Insgesamt resümiert Thiele: „Das Grundgesetz steht der Erhebung einer Vermögensteuer nicht grundsätzlich entgegen […]. Zwar muss sie sich […] an gewissen materiellen Grenzen messen lassen. Diese sind jedoch nicht so eng ausgestaltet, wie bisweilen angenommen. Zentral ist insoweit der im allgemeinen Gleichheitssatz wurzelnde Grundsatz der Lastengleichheit, der eine Besteuerung nach der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit verlangt. Das ist jedenfalls durch eine Ausgestaltung der Vermögensteuer als Sollertragsteuer möglich, bei der also nicht die tatsächlichen, sondern die üblicherweise erwarteten Erträge aus dem Vermögen besteuert werden. Also solche wäre sie auch mit den Vorgaben der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1, 2 GG vereinbar. Verfassungsrechtlich wäre es allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, die Vermögensteuer auch als Substanzsteuer auszugestalten. Insoweit hinge die verfassungsrechtliche Zulässigkeit jedoch von den gesellschaftlichen und sonstigen Umständen ab. Nicht zuletzt ein Anwachsen der sozialen Ungleichheit könnte für eine solche Besteuerung ins Feld geführt werden, da das Demokratieprinzip dafür streitet, dieses auf einem begründungsfähigen Niveau zu halten“.
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