Eindrücke von der Steuerdebatte

Am Sonntag den 29. Juni 2025 endete in Erfurt die erste bundesweite Bürgerdebatte zu gerechten Steuern und Finanzen. Dabei haben sich vierzig zufällig aus den Melderegistern ausgewählte Menschen sechs Tage lang intensiv mit Steuern und Staatshaushalt beschäftigt. Unterstützt wurden sie dabei von Expertinnen und Experten, die wir gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler ausgewählt haben. Ein Team von acht Moderatorinnen und Moderatoren vom Nexus Institut sorgte für einen reibungslosen Ablauf, ausgewogene Diskussionen und eine Punktladung: Punkt 13:00 Uhr waren alle vierzehn Empfehlungen durchgesprochen und abgestimmt. Trotz aller Gegensätze und Vielfalt haben die Teilnehmenden Kompromisse gefunden, die am Ende teils mit überwältigender Mehrheit angenommen wurden. Zum Beispiel stimmten 38 von 40 Teilnehmenden für eine Erbschaftsteuerreform, die Erben von großen Vermögen stärker in die Pflicht nimmt ohne die Substanz der Unternehmen zu gefährden.
Auch die Experten, Partner und Förderer, die in Erfurt dabei waren, waren sich an einem Punkt einig: Mit Menschen über Geld und Staatsfinanzen zu sprechen funktioniert und es lohnt sich. Das zeigte sich nicht zuletzt beim Blick in die Gesichter, beim Stimmungsbarometer im Plenum und in vielen persönlichen Gesprächen mit den Teilnehmenden. Besonders eindrücklich brachte das ein Teilnehmer ganz am Ende auf den Punkt: „Normalerweise versuche ich Menschen beim Gespräch schnell in eine Schublade zu stecken und habe meine Argumente parat. Hier habe ich gelernt, erstmal zuzuhören und die Beweggründe zu verstehen.“ Besonders produktiv waren aber die kritischen Nachfragen. Hier meine ganz persönliche Antwort auf die drei spannendsten davon.
Wird die Politik unsere Empfehlungen umsetzen?
Bürgerbeteiligung ist kein Wundermittel. „Die da oben hören sowieso nicht aufs Volk“ dieser – etwas zugespitzt formulierte – Eindruck scheint in der Bevölkerung weit verbreitet. Der Wunsch, gehört zu werden, war auch in Erfurt ein wichtiges Element für den Erfolg der Debatte. Die Erfahrung mit Bürgerräten zeigt aber, dass selbst im allerbesten Fall nur ein kleiner Teil der Politik und der Bevölkerung überhaupt von den Empfehlungen erfährt und nur ein kleiner Teil der Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland eine Vermögensteuer, eine einheitliche Kranken- und Rentenversicherung für alle oder eine Bundessteuerverwaltung eingeführt werden, ist gering, auch wenn die Teilnehmenden das so oder so ähnlich fordern.
Um den Empfehlungen überhaupt Gehör zu verschaffen, ist viel Arbeit und langer Atem nötig. Das war uns vorher klar und auch die Teilnehmenden schienen am Sonntag bereit, sich längerfristig zu engagieren. Auch das Gefühl gehört worden zu sein und die Bereitschaft, anderen wieder mehr zuzuhören, wird nicht sofort wieder verblassen. Wie lange es anhält, untersucht gerade ein anderes spannendes Projekt in Hamburg. Auch wir werden den Meinungsbildungsprozess in Erfurt detailliert wissenschaftlich organisieren.
Als nächstes laden wir alle Teilnehmenden nach Berlin ein, um mit Politikern und Politikerinnen über ihre Empfehlungen und Eindrücke zu sprechen – und wir begleiten sie beim Austausch mit der Politik in ihren zehn Wahlkreisen. Mit etwas Glück sorgt dann das Bundesverfassungsgericht dafür, dass die Erbschaftsteuer reformiert werden muss. Dann bietet die Empfehlung der Teilnehmenden eine spannende Grundlage für einen Kompromiss in dieser umstrittenen Frage.
Würdest du den Bürgerinnen und Bürgern die Entscheidung überlassen?
Oder anders gefragt: Wenn Du dich entscheiden müsstest zwischen diesen beiden Möglichkeiten:
- Die Politik hört einen Tag auf dich!
- Die Politik setzt die Empfehlungen der »Bürgerdebatte Gerechte Steuern und Finanzen« um
Hand auf Herz, wofür würdest du dich entscheiden?
Darüber musste ich ehrlich gesagt kurz nachdenken. Natürlich spricht schon allein das demokratische Prinzip gegen Option A. Aber:
Bürgerbeteiligung kann Experten und Politik nicht ersetzen. Einige Befürworter von Bürgerräten wollen diesen mehr Gehör verschaffen, indem sie sie durch intensive Öffentlichkeitsarbeit begleiten, Volksabstimmungen zu den Empfehlungen organisieren, die Bürgerbeteiligung selbst verpflichtend in den politischen Prozess integrieren oder sogar die Empfehlungen rechtlich verbindend machen. Soweit würde ich bei den Empfehlungen aus Erfurt nicht gehen.
Mindestens genauso wichtig ist aber, dass Gesetze nicht nur einmal aus formuliert und beschlossen, sondern auch dauerhaft umgesetzt werden müssen. Das dürfte mit den auf Kompromiss ausgelegten und auf den Erfahrungen verschiedener Menschen basierenden Empfehlungen besser gelingen, als mit einer Expertenmeinung. Bis zu einem Gesetz müssen die Empfehlungen noch viel genauer ausformuliert, abgewogen und weiterentwickelt werden. Dabei sollten vor allem die Leitlinien, die Bürgerinnen und Bürger erarbeitet haben, berücksichtigt werden. Das wichtigste Ergebnis der Bürgerdebatte bleibt aber der Prozess und die ganz persönliche Demokratieerfahrung vor Ort.
Hättest du das auch gemacht, wenn ihr es von eurem eigenen Geld bezahlen müsstet?
Bürgerbeteiligung ist teuer. Allein Anreise, Unterkunft, Verpflegung und Aufwandsentschädigung haben uns pro Person etwa 2.500 Euro gekostet. Für die sehr enge Begleitung durch das professionelle Moderationsteam und die Organisation wurden weitere 2.500 Euro fällig. Online oder bei kommunalen Veranstaltungen geht das natürlich günstiger. Der Bundestagsbürgerrat zu Ernährung oder der Gute Rat von Marlene Engelhorn waren nicht nur größer und länger, sondern auch pro Person noch viel teurer. Unser gesamtes Jahresbudget hätte also nicht einmal für diese eine Debatte gereicht. Aber verglichen mit den vielen ebenfalls sehr teuren Konferenzen und Veranstaltungen, die zum politischen Leben in Berlin dazugehören, war das sehr gut angelegtes Geld.
Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Jeder Mensch sollte einmal im Leben an einer solchen Veranstaltung teilnehmen und Demokratie hautnah erleben. Bei etwa einer Millionen Menschen pro Jahrgang und Kosten von 5.000 Euro pro Person, würde das etwa 5 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das sind etwa 0,5 Prozent der Steuereinnahmen und in etwa das, was eine gerechtere Besteuerung der großen Digitalkonzerne, von Online-Werbung und Fake-News einbringen würde. Das sollte uns die Demokratie eigentlich wert sein.
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