Gerechtigkeits-Check im Juni: Lobby des großen Geldes im Kulturkampf

In Teilen der Regierung setzt sich die Erkenntnis langsam durch: “Hohe Ungleichheit schränkt Entwicklungschancen, die Verwirklichung der Menschenrechte und die Reduzierung von Armut ein. Sie wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Funktionsfähigkeit von Demokratien weltweit … Die Reduzierung der Ungleichheit ist … eine der zentralen Zukunftsaufgaben der Menschheit.” So das neue Positionspapier des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Passend dazu ist eine verbesserte “Transparenz bei Vermögensverhältnissen” sogar Teil der nationalen Sicherheitsstrategie. Die Gegenstimmen werden umso schriller. Die Eigentümerin der von der Letzten Generation besprühten Yacht Lady M – mit 32 Metern und einem Tank von 29.000 Litern immerhin auf Platz 4.681 der größten Yachten weltweit – äußerte sich entsetzt: “Wir sind keine Reichen”. Frau M. und ihr Mann hätten klein angefangen und sich mit harter Arbeit vom Plastikboot “immer wieder vergrößert”. Schön für sie? Oder doch ein gesellschaftliches Problem? Ähnlich schrill geht die Lobby des großen Geldes gegen jegliche Bemühung ins Feld, die Ungleichheit zu adressieren: Unter dem #toxicDeutschland und #toxicHöchststeuerland drohen die jungen deutschen Unternehmer mal wieder mit der Flucht und die österreichische Industriellenvereinigung geht mit einer Kampagne gegen die “Schnüffelsteuer” ins Rennen. Nächste Runde im Kulturkampf.
Außerdem freuen wir uns, euch und Ihnen die Pilotfolge unseres Podcast Steuergerechtigkeit präsentieren zu können. Darin besprechen wir ab jetzt monatlich die Highlights aus unseren Arbeitsbereichen. So wollen wir die Neuigkeiten rund um das Thema Steuergerechtigkeit zugänglicher machen und entsprechen dem expliziten Wunsch einiger Fördermitglieder. Hören Sie hier oder über die Podcast-App Ihrer Wahl wie zum Beispiel Spotify gerne rein und geben uns Feedback.

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Verfassungsklage als Wahlkampfmanöver

Die bayerische Landesregierung hat ihre seit längerem angekündigte Klage gegen die Erbschaftsteuer beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Ziel ist eine Erhöhung der persönlichen Freibeträge sowie deren Regionalisierung. Im Ergebnis soll auch in Regionen mit hohen Immobilienpreisen die Erbschaft eines Einfamilienhauses steuerfrei bleiben, so Markus Söder. Damit lenkt er allerdings vom eigentlichen Gerechtigkeitsproblem der Steuer ab: Weitreichende Privilegien für wenige Hundert superreiche Firmenerben kosten die übrigen Steuerzahler und vor allem die vielen Nicht-Erben jedes Jahr 5-10 Milliarden Euro. Darüber hinaus ist das ausgerufene Ziel, Familienheime (bzw. Einfamilienhäuser) steuerfrei vererben zu können, anders als in der Klage behauptet, schon erreicht. Das gilt unabhängig von deren Wert auch für die Millionen-Villa am Starnberger See – zumindest solange die Wohnfläche 200m² nicht überschreitet und der Erbe tatsächlich einzieht. Zusätzlich! gilt ein Freibetrag von 400.000 Euro pro Elternteil. Zwei Elternteile können einem Kind somit 800.000 Euro steuerfrei weiterreichen. Diese Freibeträge erneuern sich dabei aller zehn Jahre. Im Ergebnis haben auch in Bayern innerhalb einer Generation nur etwa fünf Prozent der Menschen das Glück, so viel Vermögen zu bekommen, dass sie die Freibeträge überschreiten und überhaupt Steuer fällig wird. Zwar wurden die Freibeträge seit dem Jahr 2009 trotz gestiegener Vermögenswerte nicht mehr angehoben, aber im internationalen Vergleich gehören sie nach wie vor zu den großzügigsten. Deshalb dürfte sich kaum ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine Erhöhung herleiten lassen. Bei der Regionalisierung der Freibeträge gilt das gleiche: In Bayern werden zwar tatsächlich mehr Bürger steuerpflichtig als etwa in den ostdeutschen Bundesländern, allerdings ist das bei einer Steuer, die Vermögensungleichheiten adressiert, kein Verfassungsbruch.

Deutlich spannender ist aus unserer Sicht deswegen ein anderes Verfahren, in dem ein privater Kläger die Verfassungsmäßigkeit der Privilegien für Firmenerben anzweifelt. Dem haben wir uns in einer ausführlichen Stellungnahme angeschlossen (HIER).

Ähnlich wie in Bayern ist die Erbschaftsteuer übrigens auch in Großbritannien Wahlkampf-Thema. Eine aktuelle Umfrage dazu zeigt: Ähnlich wie die Deutschen lehnen die Briten die Steuer zwar prinzipiell und mehrheitlich ab, meinen damit aber lediglich ihre eigenen, kleinen Erbschaften. Große Erbschaften (je nach eigenen Erbschaftserwartungen meinen die Befragten damit Beträge jenseits von 50.000 und 500.000 Pfund bzw. jenseits des Familienheims) wollen sie besteuern. Die Abschaffung oder Senkung der Steuer im britischen Wahlkampf zum Gewinner-Thema zu machen, funktioniert demnach – wie wahrscheinlich auch in Deutschland – nur mit der Verbreitung von Mythen. Eine aufgeklärte Bevölkerung würde mit großer Mehrheit die Abschaffung von Steuerprivilegien für große Erbschaften und Schenkungen unterstützen.

Weitere Nachrichten:

  • Der effektive Steuersatz für die reichsten Haushalte Frankreichs ist regressiv und sinkt für die Top 75 Haushalte auf gerade einmal 26 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie von Ökonominnen und Ökonomen der Paris School of Economics, die Steuerdaten mit Unternehmensdaten verknüpft. Der Grund für die niedrigen Steuersätze der Superreichen ist die Tatsache, dass sie vor allem Kapitalgewinne erzielen, die deutlich niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen. Ähnlich wie in Deutschland entfällt die Steuer auf thesaurierte Unternehmensgewinne. Die tatsächliche Steuerquote dürfte noch geringer und das Einkommen noch höher sein, weil nicht-steuerpflichtiges Einkommen nicht erfasst wird.
  • Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler spricht sich in einer gefeierten Rede für eine Vermögensteuer in Österreich aus: Die Antwort der Lobby des großen Geldes – der Industriellenvereinigung – kam prompt: Unter der Website “schnueffelsteuer.at” bewertet der neugierige Staat Uhren und Handtaschen im Wert von 50 Euro. So wird aus der Steuer angeblich ein teurer Bürokratie-Albtraum und eine Gefahr für alle.
  • Laut neuem „Global Wealth Report“ der Boston Consulting Group ist das weltweite Finanzvermögen 2022 um 3,5 Prozent bzw. um 9 Billionen Dollar gesunken. Das ist der stärkste Rückgang seit der Finanzkrise 2008. An der extrem ungleichen Verteilung in Deutschland hat dieser Rückgang allerdings nichts geändert. Wie im Vorjahr halten etwa 0,1 Prozent der Menschen mit einem Vermögen von mehr als 20 Millionen Euro rund 28 Prozent des gesamten Finanzvermögens.

Gerechtes, solidarisches und ökologisches Steuersystem

Kulturkampf (von Rechts) um Klimagerechtigkeit

Seit einigen Monaten zielen die Aktivisten der letzten Generation nicht mehr auf die Autofahrer, sondern auf Statussymbole der Superreichen. Nach Privatjet, Hotelbar und Golfplatz auf Sylt haben sie nun einen Farbanschlag auf die Motoryacht “Lady M” verübt (Platz 4.681 der größten Yachten weltweit mit einem Tank von 29.000 Litern). Die Eigentümerin der Yacht beschwert sich im Interview darüber: “Wir sind keine Reichen”. Sie und ihr Mann hätten sich die Yacht hart erarbeitet und sich “schrittweise vergrößert”. Damit wirft sie die zentralen Fragen für den Kulturkampf der nächsten Jahre auf: Kann man sich Umweltzerstörung redlich verdienen? Wo hört Privateigentum auf? Ab wo greift die gesellschaftliche Pflicht von Eigentum und wo setzen gesellschaftliche Schäden dem Privateigentum neue Grenzen? Das Steuerrecht hat darauf zwei mögliche Antworten: es kann – z.B. über Luxussteuern – den umweltschädlichen Konsum so teuer machen, dass sich auch die Reichen ihn kaum leisten können. Und es kann dafür sorgen, dass persönliche Leistung möglichst eng mit Einkommen und Vermögen korrelieren – und die Anhäufung von großen Vermögen korrigieren, wo das nicht funktioniert hat. Beides ist aktuell nicht der Fall.

An diese Debatte knüpft auch ein neues Dossier des Tax Justice Network für eine klimagerechte Steuerpolitik an. Die Kernbotschaft: Steuer- und Klimagerechtigkeit müssen Hand in Hand gehen. Die Organisation hat Koordinaten erarbeitet an denen sich die neue Politik orientieren sollte:

  • Mehr Einnahmen zur Finanzierung nachhaltiger Infrastrukturen Verringerung sozialer Ungleichheit
  • Einpreisung der Klimakosten über eine CO2-Bepreisung hinaus
  • Stärkung demokratischer Prozesse bei der Regierungsführung
  • Wiedergutmachung, um das historische Erbe der Kolonialisierung und der ökologischen Schäden zu beseitigen

Konkret kann das u.a. erreicht werden durch “good taxes”, wie etwa Steuern auf Übergewinne, Vermögensteuern für Superreiche sowie einer progressiven Besteuerung von kohlenstoffintensiven Investitionen. Außerdem muss die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden, um internationale Gewinnverlagerung einzudämmen sowie einen weltweiten Mindeststeuersatz auf Einkommen einzuführen.

Weitere Nachrichten:

  • Neue Zahlen zum Klimageld: Laut Stefan Bach vom DIW bringt ein CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne Einnahmen von 14 Milliarden Euro, die für eine Pro-Kopf-Pauschale von 170 Euro reichen. Bei 150 Euro pro Tonne könnte ein jährliches Klimageld von 422 Euro ausgezahlt werden. Der Bericht zeigt aber auch, dass einige gering Verdienende auch bei vollem Ausgleich durch das Klimageld durch CO2-Preise hart getroffen wären und dass stattdessen oder zusätzlich Unterstützung für Härtefälle und der gezielte Ausbau und die Förderung von Alternativen nötig ist.
  • Privatjet fliegen und Steuern sparen: Ein Bericht der Tagesschau untersucht den Flugzeug-Fuhrpark von VW. Weil der als gewerblicher Vermieter ausgelagert ist, spart VW demnach Energiesteuern in Millionenhöhe. Besonders die nach Salzburg geflohene Eigentümerfamilie scheint regelmäßig mit den dort stationierten Fliegern der Porsche Air Service nach Sylt, Mallorca und Nizza zu jetten. Informationen dazu veröffentlicht der Konzern nicht und antwortet auf Nachfrage lediglich: “die Nutzer der Jets würden sich “selbstverständlich” über “alternative und CO2-optimale” Reisemöglichkeiten informieren”
  • Jetzt auch noch die EU: nach OECD und IWF empfiehlt auch die EU in den Frühjahrsempfehlungen Steuerreformen, besonders eine Entlastung von Arbeit als Anreiz mehr zu arbeiten. Große Frage bei all dieser ökonomisch geprägten Kritik am Steuersystem bleiben aber die Konsequenzen aus tendenziell eher steigenden Arbeitskosten wegen steigender Sozialabgaben: Weitere Kürzungen und Privatisierungen wie in den 00er Jahren? Oder Verlagerung der Lasten auf hohe Einkommen und Vermögen? Der Konflikt der kommenden Jahre ist hier vorgezeichnet. Explizite Kritik richtete die EU an Luxemburg und Malta für unzureichende Maßnahmen gegen aggressive Steuergestaltung.

Internationale Steuergerechtigkeit

Position der Bundesregierung: Ungleichheit als eine der zentralen Zukunftsaufgaben der Menschheit

In einem neuen Positionspapier beschäftigt sich das BMZ mit dem Thema Ungleichheit. Das Papier betont die negativen Auswirkungen von Ungleichheit auf nachhaltige Entwicklung – von negativen Effekten auf Wirtschaftswachstum bis hin zu den Auswirkungen auf das politische System. Daraus schlussfolgert es: “Die Reduzierung von Ungleichheit ist somit eine wichtige Grundlage nachhaltiger Entwicklung und eine der zentralen Zukunftsaufgaben der Menschheit.” Weiter stellt das Papier fest: “Die Reduzierung von Ungleichheit erfordert gezielte politische Maßnahmen und ergibt sich nicht automatisch. Diese werden in der Praxis jedoch oft durch mangelnden politischen Willen, Korruption und Einflussnahme von Menschen hoher Einkommensgruppen auf Politik und Institutionen erschwert.“ Es empfiehlt deswegen: “Regierungen sollten unfaire Steuerprivilegien beseitigen und verstärkt auf progressiv wirkende Steuern wie zum Beispiel Unternehmens- und Vermögenssteuern setzen. Damit Vermögenssteuern nicht zu Kapitalabflüssen führen, sollten Aktien- und Anleihevermögen, Grund und Immobilien sowie Erbschaften ebenfalls besteuert werden.“ Schließlich fordert es: „Um Ungleichheiten sichtbar zu machen und wirksam zu bekämpfen, benötigen wir zudem eine bessere Datengrundlage zur Verteilung von Einkommen und Vermögen…“

Spannend bleibt zu sehen, was das für die deutsche Entwicklungshilfe bedeutet. Wird eine positive Verteilungswirkung ab jetzt zentrales Ziel zur Erfolgsmessung von Beratungsprojekten zur Financial Good Governance (bisher vor allem: “Zusätzliche Einnahmen”)? Unterstützt das BMZ weitere internationale Verhandlungen gegen Gewinnverschiebung und Steuerhinterziehung und eine UN Steuerkonvention dazu (das Papier nennt dazu lediglich die Umsetzung der OECD-Beschlüsse)? Wie genau sollen die im Papier vorgeschlagenen “Policy Based Loans” und Steuergerechtigkeit als Teil der Konditionalität von Weltbankkrediten aussehen? Und was sagt die Bundesregierung zur Kritik des kenianischen Präsidenten auf dem Pariser Klimafinanzierungsgipfel bezogen auf ähnliche, wenig ambitionierte Vorschläge (“you are not hearing us”)? Hat die neue Position Einfluss darauf, in welchen Ländern bestehende Financial Good Governance Projekte und Beratungsprojekte im Bereich Steuern fortgesetzt und neue aufgelegt werden? Und wären diese Orientierungen nicht auch für die Politik im eigenen Land wichtig? In der eigenen Bundesregierung hätte das BMZ mit diesen Ratschlägen aktuell wahrscheinlich eher einen schweren Stand. Die Unterstützung von mehr als 100 Ökonominnen hätte das BMZ sicher.

Weitere Nachrichten: 

  • Das EU-Parlament zieht in einer Resolution Schlussfolgerungen aus den Pandora Papers und anderen Leaks: Die Resolution ruft die EU auf, eine UN Steuerkonvention zu unterstützen und kritisiert die Doppelrolle der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei der Entstehung und Umgehung von Steuergesetzen. Eine Mindeststeuer auf Kapitalerträge und eine schwarze Liste für Länder mit Einkommensteuerausnahmen für digitale Nomaden wurden knapp abgelehnt.
  • Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge für weitere Eigenmittelvorgestellt: Ab 2024 sollen alle Mitgliedsstaaten 0,5% der dort angefallenen Unternehmensgewinne (laut Statistik) an die EU abführen – und zwar, ohne dass dafür eine neue Steuer bzw. eine einheitliche Unternehmenssteuerbemessungsgrundlage nötig wird. Die Kommission erwartet daraus Zusatzeinnahmen von 16 Milliarden Euro pro Jahr, vor allem aus den Steueroasen. Ab 2026 sollen nochmal 2,5 bis 4 Milliarden Euro aus der Säule 1 der OECD hinzukommen. Nicht im Vorschlag enthalten ist ein neuer Anlauf für eine Finanztransaktionssteuer, eine eigene Digitalsteuer oder eine Übergewinnsteuer. Hier gilt wohl: lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
  • Wachsender Frust über internationale Steuer- und Finanzreformen im globalen Süden: Ein Kommentar von Joseph Stiglitz bringt den Frust über die Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Punkt und führt unilaterale (z.B. die neuen Digitalsteuern in Kolumbien und Tansania) und regionale (z.B. Kolumbien, Brasilien und Chile) Initiativen für weitergehende Maßnahmen ins Feld. Noch deutlicher wird der kenianische Staatschef im Gespräch mit Macron beim Gipfel zu Klimafinanzierung, internationaler Finanzarchitektur und einer Finanztransaktionssteuer in Paris: “you are not hearing us”. Weitere Hintergründe, schöne Bilder vom Gipfel und eine Einordnung durch Bodo Ellmers auch im 3sat-Beitrag hier.

Unternehmenssteuern

Schweizer Mindeststeuer: Das Ende einer Steueroase? Oder das Scheitern des OECD-Vorschlags?

Die Mehrheit der Schweizer*innen hat bei einem Volksentscheid für die Umsetzung der globalen Mindeststeuer der OECD gestimmt. Aus optimistischer Sicht ist das ein Zeichen, dass multilaterale Abstimmungen in Steuerfragen möglich sind und sich der OECD Vorschlag am Ende durchsetzen wird, auch wenn wichtige Länder wie China oder die USA weiterhin zögern. Aus pessimistischer Sicht ist die Schweizer Umsetzung ein weiterer Beweis dafür, dass der OECD-Kompromiss am Ende faktisch scheitern wird – und zwar nicht nur aus Sicht der ärmsten Länder dieser Welt. Was ist passiert und wer hat Recht?

Nach dem Volksentscheid wird die Schweiz eine sogenannte nationale Ergänzungssteuer einführen, die dafür sorgt, dass alle in der Schweiz deklarierten Gewinne mit mindestens 15 Prozent besteuert werden. Niedrigsteuerkantone wie Zug verlangen bisher nur 11 Prozent und bieten weitere Sonderregeln. Laut aggregierter länderbezogener Berichterstattung deklarierten große US-Konzerne im Jahr 2020 immerhin 131 Milliarden Euro (7,8% ihrer globalen Gewinne) in der Schweiz und zahlten lediglich 3,7 Prozent Steuern. Einigen Steuervermeidern dürfte also eine Steuererhöhung ins Haus stehen. Allerdings gibt es – abgesehen davon, dass auch der Steuersatz von 15 Prozent im Vergleich mit den Staaten aus denen die Gewinne stammen noch viel zu niedrig ist – zwei Probleme:

  1. Die zusätzlichen Einnahmen entstehen in der Schweiz. Ursprünglich war geplant, dass die Einnahmen hauptsächlich in den Ländern anfallen, in denen die entsprechenden Konzerne ihren Hauptsitz haben. Die in letzter Minute vereinbarte nationale Ergänzungssteuer veränderte den Charakter der Reform grundsätzlich.
  2. Die zusätzlichen Einnahmen bleiben größtenteils in den Niedrigsteuerkantonen und sollen dort als Subvention oder Steuersenkung an anderer Stelle an die großen Konzerne zurückfließen.

Warum die linken Parteien anders als bei der letzten Abstimmung mit ihrer Ablehnung dieses Mogelpakets deutlich gescheitert sind, beschreibt die WOZ. Letztlich liegt das zentrale Problem aber im OECD-Design, vor allem der Ergänzungssteuer: sie belohnt Steueroasen, von denen man einen verantwortlichen Umgang mit den Zusatzeinnahmen schlicht nicht erwarten kann.

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Datenlücke zur Finanzverwaltung kurzfristig behoben: Licht und Schatten post-Corona

Die Antwort auf die eigentlich jährlich eingereichte Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zum Steuervollzug ist veröffentlicht. Weil die Anfrage im letzten Jahr zu früh eingereicht wurde, enthält die jetzige Antwort auf wichtige Daten für das Vorjahr. Die Anfrage zeigt einmal mehr die problematische Datenlage: die jährlichen Berichte des BMF reichen nicht aus, um alle zentralen Fragen zu beantworten. Eine Aufschlüsselung nach einzelnen Bundesländern verweigert das BMF auch in den kleinen Anfragen. Datenauswertungen wie in den USA, die zeigen, dass eine durchschnittliche Steuerprüfung das zweifache der Kosten, eine Überprüfung der Top 0,1 Prozent aber das sechsfache der Kosten einspielt, sind in Deutschland trotz aller Bemühungen um Transparenz aus dem Bundestag weiterhin unmöglich.

Die jetzt veröffentlichten Zahlen für 2021 und 2022 zeigen einige Fortschritte – und leider oft Rückschritte – der Steuerverwaltung in der Postpandemie-Zeit. Einerseits steigen die Personalzahlen in den Ländern erstmal wieder leicht, andererseits wächst der Anteil unbesetzter Stellen umso rapider. Prüfzahlen und Mehreinnahmen sind in vielen Fällen auf oder nahe ihrem Tiefstand seit Beginn der 2010er-Jahre. Vorab veröffentlicht wurden bereits Zahlen zur Prüfung von sogenannten Einkommensmillionären (die eigentlich nur über 500.000 Euro pro Jahr verdienen). Die Kennzahlen der “Fälle mit bedeutenden Einkünften” wie Prüfquoten, Mehreinnahmen und sogar Mehreinnahmen pro Prüfung, die eigentlich mit sinkenden Prüfungen und somit anteilsmäßig mehr Prüfungen bei besonders lohnenswerten Fällen steigen sollten, sind 2022 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn unserer Datenreihen. Fast das gleiche gilt auch für die Betriebsprüfung, wo die Mehreinnahmen auf Tiefstand seit Beginn unserer Datenreihen in 2010 liegen. Getrieben wird dieser Trend durch schwache Prüfquote und Mehreinnahmen bei den Großunternehmen. Unsere Forderung, dass sich Personal- und Prüfzahlen zumindest wieder auf den schwachen Vorkrisenstand erholen müssen, bleibt also bisher größtenteils unerfüllt. Angesichts des absehbaren Fachkräftemangels und der Pensionierungswelle wird dabei kein Weg an mehr vorausgefüllten und automatisch veranlagten Steuererklärungen vorbeiführen. Schon jetzt und vor allem in den Corona-Jahren ist die Quote von Fällen, die rein automatisch bearbeitet werden, stark angestiegen und liegt teilweise bereits bei knapp zwanzig Prozent.

Weitere Nachrichten:

  • Cum-Ex im Bundestag: Sachverständige sehen mehrheitlich verfassungsrechtliche Probleme mit signifikanten Teilen des CDU-Antrags für einen Warburg-Untersuchungsausschuss. Die Union hat ihren Antrag nun umgeschrieben. Es ist offen, ob dies zu einer Einigung führen wird. Letztendlich könnte die Union den Antrag jedoch auch ohne Einigung über das Minderheitenrecht durchsetzen – mit Risiko einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts.
  • Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat gleich zweimal in presserechtlichen Fragen zu Cum-Ex-Fällen gegen die Journalisten entschieden, die in den vorherigen Instanzen noch Recht bekommen hatten. Im Ergebnis heißt das: Das Bundeskanzleramt muss keine Auskunft zu den Gesprächen von Wolfgang Schmidt mit Medienvertretern preisgeben, in deren Rahmen ihm unlautere Öffentlichkeitsarbeit mit Dienstwissen gerichtet gegen den klagenden Journalisten vorgeworfen wird. Das Bundesfinanzministerium hat zudem keine Pflicht, Informationen gegenüber anfragenden Journalisten preiszugeben, die durch das Ministerium bereits vernichtet wurden und die somit nicht mehr als sogenanntes präsentes dienstliches Wissen vorliegen.
  • Die Hamburger Warburg-Bank war nicht tief nur in Cum-Ex-Geschäfte involviert. Nun hat die Finanzverwaltung auch fast 100 Millionen Euro beantragter Kapitalertragsteuererstattung aus Cum-Cum-Geschäften zurückgefordert.
  • Der heutige Leiter des Hamburger Finanzamts für Großunternehmen hat einen Strafantrag gegen seine Mitarbeiterin gestellt, die eine wichtige Rolle in der Verjährung von Cum-Ex-Erträgen der Warburg-Bank gespielt hatte. Strafantrag gestellt wurde allerdings absurderweise nicht deswegen – sondern wegen Verletzung des Steuergeheimnisses. Die Beamtin hatte mit einer Freundin über den Steuerfall gechattet.
  • Der Erfinder von Cum-Ex-Deals, Frank Vogel, ist in den Niederlanden verhaftet worden – unter Koordination von Eurojust (siehe oben) und gemeinsam mit finnischen und deutschen Staatsanwälten. Generell läuft die Cum-Ex-Aufarbeitung dort nun auch medienwirksam an.
  • In einem weiteren tollen Interview mit der Steuerfahnderin und Buchautorin Orths im Handelsblatt (€) fasst sie ihre möglicherweise wichtigste Botschaft zusammen: “Das Steuergeheimnis verkommt teilweise zum Täterschutz.”
  • Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung des Starkochs Alfons Schuhbeck zu drei Jahren und zwei Monaten wegen Steuerhinterziehung in Höhe von über zwei Millionen Euro über seine Restaurants bestätigt.

Schattenfinanz und Geldwäsche

Transparente Vermögensverhältnisse im Sinne der nationalen Sicherheit oder gegen kriminelle Clans?

Ende Juli endet die Frist aus dem zweiten Sanktionsdurchsetzungsgesetz. Dann müssen alle Grundbücher (bzw. die Katasterämter) die Eigentümerdaten aller deutschen Grundstücke zum 30.6.2023 zur Verknüpfung mit dem Transparenzregister an den Bundesanzeigerverlag übermitteln. Die nationale Sicherheitsstrategie schreibt passend dazu: “Die Transparenz bei Vermögensverhältnissen werden wir verbessern, um Geldwäsche effektiver zu bekämpfen, Sanktionsregime besser umzusetzen und Grunderwerb zu sicherheitsgefährdenden Zwecken rechtzeitig erkennen zu können. Dies trägt auch zu einem besseren sicherheitspolitischen Verständnis von finanzieller und ökonomischer Einflussnahme bei. Zudem wird eine Optimierung der Strukturen bei der Geldwäschebekämpfung und ihrer Ressourcen angestrebt.” Der entsprechende Gesetzesentwurf ist geschrieben, traf aber dem Vernehmen nach auf Widerstand aus dem Justizministerium und musste umfassend überarbeitet werden. Dessen Minister macht währenddessen lieber Stimmung gegen die Luxusautos der kriminellen Clans (die es in einem Nebensatz übrigens auch in die nationale Sicherheitsstrategie geschafft haben).

Weitere Nachrichten:

  • Die Rotenberg-Files beleuchten die Helfers-Helfer eines russischen Oligarchen: Steueransässigkeit in Monaco wegdiskutieren um keine Mehrwertsteuer auf die Yacht zu zahlen, die Presse in Monacco überzeugen, dass es keine Beteiligung am Bau der Brücke auf die Krim gibt ohne den Wohnsitz in Monaco offenzulegen, 3% Offshore-Steuer auf die Villa in Spanien vermeiden und Steuerprüfung in Malta überstehen, das Eigentum am Haus in Kitzbühel für Putins Tochter und ihren Geliebten verschleiern und ein Visum für die Geschäftsreise nach Großbritannien besorgen. Das sind ein paar der Aufgaben an die Helfers-Helfer der Rotenbergs – darunter auch einen Prinz aus der britischen Königsfamilie. Wie unbeholfen sie sich dabei teilweise angestellt haben, zeigen die jetzt geleakten Emails. Die meisten Briefkastenfirmen und Vermögenswerte sind alte Bekannte und mittlerweile eingefroren (z.B. die 2018 durch die Olpon Investments Limited trotz Sanktionen verkaufte Villa in Berlin). Detaillierte Infos wie immer kostenfrei bei OCCRP.
  • Verpasste Chance für Finanzmarkttransparenz beim neuen EU-Vorschlag (FASTER): Anstatt die Eigentümer von Aktien zu erfassen um Betrugsmodell wie Cum-Ex verlässlich zu verhindern und Entwicklungen auf den Finanzmärkten nachvollziehen zu können, verlässt sich der Vorschlag der Kommission darauf, dass die Banken die richtigen Steuern an der Quelle einbehalten – und zwar weiterhin völlig anonym.
  • Zoll veröffentlicht Jahresbericht: In 2022 wurden 163 Milliarden Euro Steuern und Zölle erhoben und 121 OK-Verfahren geführt – je etwa ein Drittel zu Schwarzarbeit, Betäubungsmitteln und Verbrauchssteuern. 8.600 Zöllner*innen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit konnten aber lediglich 53,4 Millionen Euro Vermögen abschöpfen. Außerdem wurden 29 Tonnen Betäubungsmittel, 142 Millionen unversteuerte Zigaretten und gefälschte Waren im Wert von 435 Millionen Euro sichergestellt. Von einer Finanzpolizei ist der Zoll also noch meilenweit entfernt.
  • Eurojust veröffentlicht ihren jährlichen Bericht: In 2022 wurden 4.000 Verdächtige festgenommen, knapp drei Milliarden Euro beschlagnahmt, sowie Drogen im Wert von zwölf Milliarden Euro. Ein Schwerpunkt liegt dabei auch auf Umsatzsteuerbetrug, unter anderem durch europaweite Umsatzsteuerkarusselle.
  • Einbruchserie im Hamburger Hafen: Neun Einbrüche in zwei Wochen, 27 Festnahmen, sechsstellige Honorare oder Drohungen mit vorgehaltener Waffe für Hafenmitarbeiter. Eine dreiteilige Audio-Story des NDR ordnet die Kokain-Welle ein.

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