Gerechtigkeitscheck: Sonderausgabe zum Jahrbuch

Joe Biden zitiert das Jahrbuch Steuergerechtigkeit und die BMW-Erb*innen unterstreichen mit 1,4 Milliarden Steuerersparnis seine Kernbotschaft

Richtig geraten: Es gibt noch keine englische Version des Jahrbuchs und in seiner Ansprache zur Lage der Nation – am 8. März, zwei Tage nach der Veröffentlichung des Jahrbuchs – hat Joe Biden zwar das magische Wort “Steuergerechtigkeit” nicht in den Mund genommen. Dafür hat er so ziemlich alle Kernbotschaften des Jahrbuchs prominent in seine Rede eingebaut. Und auch im deutschsprachigen Podcast “Lage der Nation” ging es am 7. März fast 20 Minuten lang um Steuergerechtigkeit – und explizit unser Jahrbuch.

Und ob Sie es geglaubt haben oder nicht: Laut dem am 20. März vorgestellten Geschäftsbericht hat BMW 2023 einen Gewinn von 12 Milliarden Euro (nach Steuern) erzielt und plant, 4 Milliarden Euro Dividenden auszuschütten. Susanne Klatten und Stefan Quandt haben fast die Hälfte des BMW-Konzerns geerbt. Wer 1,4 Milliarden Euro Steuern von ihnen verlangt, verraten wir im Update unseres ersten Gerechtigkeitsindikators. Außerdem geben wir in diesem Sonder-Newsletter einen Überblick über die Pressereaktionen zur Jahrbuch-Veröffentlichung und adressieren die wichtigsten Gegenargumente. Die zentralen Botschaften des Jahrbuchs erklären wir ausführlich in der aktuellen Podcast-Sonderfolge (wie immer auch auf YouTube). Viel Spaß damit.

Joe Biden und Svenja Schulze: Internationaler Schwung für die ambitionierten Reformen?

Joe Bidens Rede zur Lage der Nation vom 8. März zeigt, wie Steuerwahlkampf klingen kann:

Folks at home, does anybody really think the tax code is fair? […] I sure don’t. […] The way to make the tax code fair is to make big corporations and the very wealthy begin to pay their share. […] It’s time to raise the corporate minimum tax to at least 21 percent—so every big corporation finally begins to pay their fair share. […] No billionaire should pay a lower federal tax rate than a teacher, a sanitation worker, or a nurse. I proposed a minimum tax for billionaires of 25 percent […].

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) forderte die Steuerdebatte schon am 15. Januar bei n-tv: “Wir brauchen die Debatte, in Deutschland und weltweit.” Sie verlieh dieser Forderung bei der Vorstellung des neuen UN-Berichts zum Bericht zur menschlichen Entwicklung am 19. März noch einmal Nachdruck:

“Der Bericht zeigt außerdem auf, wie extrem ungleich Entwicklungserfolge und Reichtum verteilt sind. Darum ist es wichtig, nicht nur über die Ärmsten zu sprechen, sondern auch über die Superreichen. Die Milliardäre dieser Welt müssen endlich mehr zu einer nachhaltigen Entwicklung der Menschheit beitragen. Eine globale Mindeststeuer für Superreiche wäre eine wichtige Chance für Gerechtigkeit und Entwicklung weltweit.“

Und wer einen Eindruck vom Tax Justice Summit von letzter Woche bekommen will, dem sei die motivierende Präsentation zur Übergewinnsteuer (ab 5:11:33) und die Studie dazu empfohlen.

Süddeutsche Zeitung: Warum subventionieren wir Betongold?

Im Kommentar zu unserem Jahrbuch schreibt Bastian Brinkmann (SZ): “Mit diesem Geld subventioniert der Staat quasi, dass Superreiche bestehende Wohnungen aufkaufen und vermieten […] Dieser Fehlanreiz ist fatal. […] Steueranreize sind kein alles entscheidender Faktor für solche Finanzentscheidungen. […] Hochvermögende gelten als besonders anfällig für diese Anreize […] weil sie so viel Geld haben, dass sie Vermögensverwalter beschäftigen – und es ist schließlich ihr Job, auch den letzten Steuertrick zu kennen und zu nutzen.”

Prof. Johanna Hey antwortet im Artikel dazu:Das ist eine Steuerlücke mitten in Deutschland“ […] Dass Immobilienkonzerne keine Gewerbesteuer zahlen, „ist ein nicht zu rechtfertigender Vorteil für diese Unternehmen“. Aus Steuerrechtssicht sieht sie auch die befreiten Veräußerungsgewinne nach zehn Jahren kritisch. […] Das Steuerrecht ist das falsche Instrument, um die Wohnungsnot in teuren Ballungsgebieten anzugehen“, sagt sie. „Das ist viel komplexer.“ Steuerregeln seien deutschlandweit gleich, der Wohnungsmarkt in Berlin und Braunlage jedoch sehr unterschiedlich. „Das kann man so nicht lokal dosieren. Vermieter geben alles weiter, was der Markt erlaubt.“

Wir sind uns also weitgehend einig. Die Immobilienbesteuerung ist ungerecht und unwirtschaftlich. Wie die Vermieter eine höhere Steuer trotz Mietpreisbremse weitergeben wollen und wieso eine auf den Gewinn bezogene Steuer die profitable Wohnung in Berlin genauso behandeln sollte wie die verlustreiche Wohnung in Braunlage, erklärt Prof. Hey hoffentlich bei der nächsten Gelegenheit mal genauer.

Monitor vs. Steuerfabi: Zahlen Superreiche wirklich nur die Hälfte der Durchschnittsverdiener?

Auf Instagram gab es eine spannende Debatte über unseren Gerechtigkeitsindikator 1. Monitor (WDR) hatte ihn in eine ihrer schönen Grafiken übersetzt. Nach “vielen Anfragen” hat sich daraufhin Steuer-Fabi detailliert, kritisch aber fair, damit beschäftigt. In den Kommentaren wurde heftig, aber ebenfalls ausgewogen, diskutiert. Deswegen hier die Kritik von Steuer-Fabi und ein paar Gegenargumente aus den Kommentaren dazu:

  • Die steuerfrei verkaufte Immobilie im Wert von 300.000 Euro: Sie senkt den Steuersatz um etwa 5 Prozent (von 26 Prozent auf 21 Prozent). Ob das realistisch ist, haben wir lange diskutiert. Wir haben die Immobilie aber letztlich einbezogen, um eine der größten Steuerungerechtigkeiten zu illustrieren. Beim Immobilienmilliardär liegt der Steuersatz mit 17 Prozent noch deutlich niedriger.
  • Der Steuersatz gilt nur für in der Holding angesparte Gewinne. Bei Ausschüttungen werden es knapp 36 Prozent. Dazu die Kommentare (mit kleinen Rechtschreib-Korrekturen):
  • “Also eigentlich hast Du erklärt, dass man mit Immobilien zu handeln und eine Holding zu haben – also Dinge, die sich nur für Reiche lohnen – Steuern spart.”
  • “Ich kenne Leute, die haben 1-2 Millionen in der Holding liegen und zahlen nur das Nötigste aus. Die zahlen dadurch sehr wenige Lohnnebenkosten. Fitnessstudio, Zuschuss zum Mittagessen, Fortbewegung, sind alles Kosten die abgesetzt werden. Normalos zahlen diese ganzen Dinge NACH Steuern.”
  • “Da ich viel mit Selbständigen zu tun hab, kann ich dir sagen: Das ist nur die Theorie: Klopapier kaufen? Unternehmenskonto. Tanken? Unternehmenskonto. Getränke kaufen? Unternehmenskonto”

Tenor also: Das Holding-Privileg wird von der Beraterbranche nicht ganz zufällig beworben, sondern weil es eben funktioniert. Und es ist unfair gegenüber den Normalsterblichen, die es nicht nutzen können und deswegen ihre Investitionen und ihren Konsum aus dem versteuerten Einkommen finanzieren müssen.

Bei der Durchschnittsverdiener-Familie rechnen wir (wie die OECD) einen Arbeitgeberbeitrag von 12 Prozent mit ein. Auch darüber haben wir lange diskutiert und uns dafür entschieden, vor allem weil das beim oft zitierten Vergleich der OECD dazu führt, dass Deutschland als Hochsteuerland beschrieben wird. Auch dazu die Kommentare:

  • “Wir müssen das mehr volkswirtschaftlich sehen. Für ihren Arbeitgeber sind die Vollkosten Ihres Arbeitsplatzes maßgeblich. Diese müssen durch die Tätigkeit des Unternehmens erwirtschaftet werden.”
  • “Aber definitiv nein, die Ag ziehen den An- definitiv den Ag-Anteil vom Netto ab! Es handelt sich um einen schlichten Trade off. Ag-/An-Nummer dient für mein Dafürhalten lediglich Gerechtigkeitsdebatten und ist reell ganz schön verlogen.”
  • “Und jetzt hole ich meinen Taschenrechner und meine letzte Lohnabrechnung. Abgaben + Steuern ~ 42 % Das sehe ich jetzt vor mir schwarz auf weiß. Wie soll ich mir das jetzt schön rechnen?”

Update Gerechtigkeitsindikator 1: Der Steuersatz der BMW-Erb*innen und die Mindeststeuer von Joe Biden

Auch 2023 war für BMW ein sehr gutes Jahr. Mit knapp 12 Milliarden Euro steht im heute veröffentlichten Geschäftsbericht unterm Strich der zweithöchste Gewinn der Firmengeschichte – nach dem Rekord von fast 19 Milliarden Euro aus dem Jahr 2022. Von diesem Gewinn sollen knapp 4 Milliarden Euro als Dividende ausgeschüttet werden. Susanne Klatten und Stefan Quandt sind an BMW und dessen Gewinnen mit 48,5 Prozent – nach 46,7 Prozent im Vorjahr – beteiligt. BMW weist für 2023 einen Steuersatz von 28,8 Prozent aus. Bei der Ausschüttung der Dividende an die Beteiligungsgesellschaften wird sie zusätzlich effektiv mit 1,5 Prozent besteuert.

Und da schließt sich der Kreis: Denn genau um derart minimale Steuerzahlungen durch die reichsten Steuerpflichtigen zu unterbinden, forderte Joe Biden in seiner “State of the Union”-Rede eine Mindeststeuer für Milliardäre in Höhe von 25 Prozent. Eine solche Mindeststeuer auf die ausgeschütteten Dividenden würde im Fall der BMW-Erb*innen Einnahmen von 463 Millionen Euro generieren. Auf die Wertsteigerung der Anteile im Vergleich zum Vorjahr würden noch einmal etwa 1 Milliarde Euro fällig, wenn man sie nicht mit den Wertverlusten der Vorjahre verrechnet. Insgesamt hätte die Mindeststeuer auf die Vermögen trotzdem noch unter der Summe der ausgeschütteten Dividenden gelegen und BMW also letztlich nicht belastet. Aber Stand heute erhalten die BMW-Erb*innen fast 2 Milliarden Euro Dividende plus Wertsteigerungen – und sparen dabei 1,4 Milliarden Euro an Steuern.

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