Gerechtigkeitscheck August 2024 – Surfen und Steuern
Das Bild vom brasilianischen Surfer Gabriel Medina, auf dem er nach seinem Ritt auf der perfekten Welle über dem Wasser in der Luft zu schweben scheint, wird möglicherweise das spektakulärste Foto der Olympiade.
Um Surfen ging es auch in einem Kommentar, der uns in den letzten Tagen erreicht hat: “Ich habe das Gefühl, dass wir mit dem Thema materielle Ungleichheit auf einer Welle surfen”. Schaut man sich die aktuelle Nachrichtenlage jenseits von Olympia an, trifft es das ziemlich gut. Besonders gefreut haben wir uns über die Berichterstattung zu den neuen Zahlen zur Verschonungsbedarfsprüfung in der SZ, über den ausführlichen und lesenswerten Mythen-Check zur Vermögensteuer von Chris Vielhaus und über die Worte von Josef Rick, der im WDR nicht nur seine Steuererklärung zeigt, sondern die Mythen ganz persönlich abräumt.
Spektakulär klingt auch die Stellungnahme der OECD zum Treffen der G20-Finanzminister in Rio de Janeiro letzte Woche. Von einem “remarkable achievement” und einem “historic text” ist dort die Rede. Gemeint ist die erste nur auf internationale Steuerkooperation fokussierte Erklärung der G20-Finanzminister unter Leitung Brasiliens. Was wirklich drin steht und was das für die internationale Steuerkooperation bedeutet, schauen wir uns in diesem Newsletter genauer an und besprechen es wie immer auch in unserem Podcast (YouTube) – diesmal zusätzlich mit unseren Lieblingsstudien aus der Vor-Podcast-Zeit. Außerdem dabei: die Meinung des IWF zu einer globalen Finanztransaktionssteuer, drei 28 bis 32-jährige Jungmilliardäre und kriminelle Notare.
+++Treffen der 20 mächtigsten Finanzminister: Wie geht es weiter mit der internationalen Steuerkooperation?+++Wie laut IWF Hunger und Armut beendet werden könnten – mit nur einer Steuer+++100.000 Unterschriften für die Erbschaftsteuer+++Deutschlands drei neueste Milliardär*innen+++141 Familien besitzen mehr als die Hälfte aller deutschen Aktien+++Ausländer rein!+++Hamburger Untätigkeit – Teil 2+++Alkoholabhängige Polen, kriminelle Notare und zu lasche Aufseher+++
Internationale Steuergerechtigkeit
Halb voll oder halb leer?
Am 25.7. haben die G20-Finanzminister über die brasilianische Initiative zur gerechten Besteuerung von Superreichen beraten. Ihre 4-seitige Erklärung zu internationalen Steuerkooperation bleibt vage und lässt viel Raum für Interpretation.
“We encourage the Inclusive Framework on BEPS to consider working on these issues”. Noch im April hatte der brasilianische Finanzminister für Juli oder November einen Arbeitsauftrag für eine globale Mindeststeuer für Milliardäre an die OECD angekündigt. Eine klare Ansage dazu klingt anders. Und die US-amerikanische Finanzministerin machte im Gespräch mit Journalisten klar, was sie von dem Vorschlag hält: “[Tax] policy is very difficult to coordinate globally […] we don’t see a need or really think it’s desirable to try to negotiate a global agreement on that. We think that all countries should make sure that their taxation systems are fair and progressive.”
Und auch der Rest der Erklärung klingt eher nach vertagter Entscheidung: “With full respect to tax sovereignty, we will seek to engage cooperatively to ensure that ultra-high-net-worth individuals are effectively taxed.” Im Vergleich zu vorherigen Erklärungen kann man wohl allein das schon als erheblichen Fortschritt durchgehen lassen. Allerdings soll sich diese Zusammenarbeit vor allem darauf fokussieren, Steuerhinterziehung und aggressive Steuervermeidung entschiedener zu bekämpfen, die Einhaltung nationaler Regeln zu stärken und nationale Reformbemühungen zu unterstützen. Ob sich daraus beispielsweise ein multilaterales Abkommen gegen Steuerflucht entwickelt, wird sich zeigen müssen. Immerhin wiederholt die G20 ihren Auftrag an die OECD, den automatischen Informationsaustausch auf Immobilien auszuweiten.
Ansonsten betont die Erklärung viele Bedenken gegen ambitionierte Steuerreformen aus dem Kreis der OECD-Staaten von “state sovereignity” über “tax certainty”, “avoiding unnecessary duplication”, ein “stable and predictable international tax system” bis zum “(broad) consensus”. Zu Pillar 1 gibt es weder eine Beerdigung der Bemühungen noch eine neue Deadline. Dass die OECD die Erklärung als “historic text” preist, klingt vor diesem Hintergrund nach Zweckoptimismus.
Berichtsflut für das Finanzministertreffen:
- Der internationale Währungsfonds analysiert Finanzierungsmöglichkeiten für nachhaltige Entwicklung: 14 Milliarden US-Dollar, um den Hunger zu beenden; 81 Milliarden US-Dollar für ein Ende der extremen Armut. So billig könnte es laut IWF zumindest theoretisch sein. Zusammen kosten die weiteren Entwicklungsziele etwa das 40-fache. Eine globale Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent könnte Hunger und Armut laut IWF vier- bis fünfmal beseitigen. Im Vergleich dazu findet der IWF eine bessere Besteuerung von Vermögen oder noch lieber von Kapitaleinkommen gerechter und eine Übergewinnsteuer für die profitabelsten Konzerne ökonomisch effizienter. Aber weil das alles schwer durchzusetzen ist, empfiehlt er, vor allem internationalen Transport und CO2 zu besteuern. Und weil die internationale Flugorganisation (ICAO) und die internationale Marineorganisation (IMO) schon Daten über den Verbrauch erheben, wäre eine echte internationale Steuer einfach umsetzbar. Eine CO2-Abgabe von 100 Dollar pro Tonne würde laut IWF Flüge um 10 Prozent verteuern und verschiffte Güter um 1 Prozent teurer machen, dafür aber 130 Milliarden US-Dollar einbringen. Genug also zur Abschaffung von Hunger und Armut. Mehrwertsteuern auf Flugtickets oder die Abschaffung von Kraftstoffsubventionen würden ein Vielfaches erbringen.
- Die OECD aktualisiert ihre Arbeitsbilanz für die G20: 40 Länder haben die Säule 2 mittlerweile umgesetzt, bei Säule 1 fehlt im Prinzip nur noch eine Einigung auf Amount B (also vereinfachte Verrechnungspreisregeln) – und beim letzten Treffen im Mai waren immerhin 400 Vertreter aus 127 Ländern anwesend. Die länderbezogenen Berichte zeigen steigende Steuersätze und sinkende Gewinne in Steueroasen. Außerdem ist nur noch eine “harmful tax practice” übrig.
- Die OECD legt einen Bericht zu Steuern und Ungleichheit vor:Wer einen Überblick über die aktuelle Studienlage sucht, ist hier gut aufgehoben. Wer neue Zahlen oder Erkenntnisse erhofft hatte, wird enttäuscht. Der Bericht nutzt Zahlen vom World Inequality Lab, um Ungleichheit zu vermessen und kommt zu dem Ergebnis, dass länderspezifische Verbesserungen bei der Besteuerung von Vermögenseinkommen wünschenswert sein könnten, falls sie nicht Investitionen und Wachstum gefährden.
- OECD veröffentlicht Unternehmensteuerstatistik 2024: Demnach ist der durchschnittliche Steuersatz zum dritten Jahr in Folge stabil bei 21,1%. Die OECD sieht das als Beleg dafür, dass die Mindeststeuer den Unterbietungswettbewerb gestoppt hat. Sechs Länder haben ihre Steuersätze sogar erhöht (Aruba, Barbados, Island, Tschechien und die Vereinigten Arabischen Emirate – letztere von 0% auf 9%).
- Global Policy Forum und Netzwerk Steuergerechtigkeit veröffentlichen Analyse zur UN-Steuerkonvention: Auf zehn Seiten geben wir einen Überblick über die Bedeutung von Steuern in der Entwicklungsfinanzierung, Hintergrund, Inhalt und Zukunft der UN-Steuerkonvention sowie unterschiedliche Steuervorschläge und ihr Einnahmepotenzial.
Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen
100.000 Unterschriften für die Erbschaftsteuer
Die Jusos in der Schweiz wollen per Volksinitiative erreichen, dass Schenkungen und Erbschaften von mehr als 50 Millionen Franken (ca. 52 Mio. Euro) künftig mit 50 Prozent besteuert werden. Die erforderlichen 100.000 Unterschriften für eine Abstimmung haben sie bereits gesammelt. Wann die Schweizerinnen und Schweizer dazu befragt werden, ist noch offen. Einige vermögende Schweizer drohen trotzdem bereits mit ihrem Wegzug. Diesen müssten sie allerdings bald in Angriff nehmen, denn der Vorschlag sieht vor, auch alle die zu besteuern, die nach dem Abstimmungstag das Weite suchen. Besonders ärgerlich dürfte das Vorhaben für einige wenige Norweger sein, die in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der neu eingeführten norwegischen Vermögensteuer in die Schweiz geflohen sind. Für sie heißt es nun vielleicht schon bald wieder: Koffer packen.
Die Volksinitiative sollte aber nicht nur die Norweger in Bewegung versetzen, sondern auch den Parteien in Deutschland neue Impulse für ihre Wahlprogramme geben. Dass auch in Deutschland eine Reform der Erbschaftssteuer dringend notwendig ist, zeigt die neue Steuerstatistik für das Jahr 2023. Sie suggeriert zwar steigende Steuereinnahmen, verschweigt aber, dass ein wesentlicher Teil der festgesetzten (und in der Statistik erfassten) Steuern auf Groß-Erbschaften wegen „Bedürftigkeit“ im Nachgang wieder erlassen wird. Das stellen wir im Artikel der SZ klar. Insgesamt wurde im vergangenen Jahr in 26 Fällen ein Steuererlass auf Vermögensübertragungen von über 26 Millionen Euro ausgesprochen. In diesen wenigen Fällen wurden nach unseren Berechnungen Vermögen von über 7 Milliarden Euro übertragen und der effektive Steuersatz lag bei rund 0,1 Prozent . Weitere Details gibt es dazu in unserem Blogbeitrag.
Weitere Nachrichten:
- Deutschland hat drei neue Milliardär*innen: Die BMW-Erbin Susanne Klatten hat aktuell die kleinere Hälfte ihres Vermögens an ihre drei Kinder übertragen. Im Alter von 28 und 32 Jahren übernehmen sie die Anteile an der SKion-GmbH und damit vor allem das Eigentum am Chemie Konzern Altana, vielen kleineren Beteiligungen und mehr als 4 Milliarden Euro Gewinnrücklagen. Die Geschäftsführung genauso wie die BMW-Anteile behält Susanne Klatten vorerst noch. Ob und wenn ja, in welchem Umfang dabei Schenkungsteuer gezahlt wird, wollte die Familie nicht verraten. Nach dem aktuellen Gesetz zählen die Kinder wohl als bedürftig und dürften deswegen kaum Steuern zahlen.
- 141 Familien besitzen die Hälfte aller deutschen Aktien: Unternehmensvermögen sind sehr ungleich verteilt. Eine neue Studie für das Forum New Economy zeigt, wie wenig wir über die Höhe dieses Vermögens wissen. Laut erweitertem SOEP und der Haushaltsbefragung der Bundesbank (also für die Schätzung der Vermögensverteilung) sind die Unternehmensvermögen knapp 1,5 Billionen Euro wert. Zwei aktuelle Studien schätzen das gesamte Unternehmensvermögen dagegen auf 4 Billionen Euro. Laut Studie waren allein die beherrschenden Anteile (>25%) der 141 reichsten Familien an insgesamt 190 deutschen börsennotierten Unternehmen 186 Milliarden Euro wert. Das wäre mehr als die Hälfte dessen, was die VGR für ganz Deutschland als Aktienvermögen schätzt. Ihren beherrschenden Einfluss nutzen die Familien laut Studie, um den Teil der Gewinne, der an Aktionäre ausgeschüttet wird, aber auch den Teil, der an Mitarbeiter gezahlt wird, zu reduzieren. Was sie mit dem im Unternehmen verbliebenen Geld machen, untersucht die Studie leider nicht.
- Der automatische Informationsaustausch funktioniert – zumindest in Dänemark: Das zeigt die bereits im Global Tax Evasion Report angekündigte und jetzt veröffentlichte Analyse mit detaillierten Daten der dänischen Steuerbehörden. Demnach wurden dort 40 Prozent der untersuchten Offshore-Vermögen zurückverlagert und 20 Prozent erstmals wahrheitsgemäß in der Steuererklärung aufgeführt. Weitere 10 Prozent wären für die Steuerbehörden anhand der neuen Daten erstmals greifbar, allerdings nur mit aufwändigen Prüfungen – wegen schlechter Datenqualität. Immerhin 30 Prozent der Offshore-Vermögen wurden von den ausländischen Banken nicht gemeldet – ein Verweis auf schlechte Compliance. Das Design der Studie ist erstaunlich. Die Autoren hatten nicht nur Zugriff auf alle Steuerdaten, sondern auch auf Banktransfers und konnten mit den Finanzbeamten gemeinsame Prüfungen durchführen. In Deutschland unvorstellbar. Trotzdem mussten sie ihre Analyse auf direkt gehaltene Konten beschränken. Für Konten im Besitz von Holdinggesellschaften mussten sie schätzen. Und es bleibt ein gewisses Dunkelfeld.
- Reiche Menschen leben länger: Diesen in Studien bereits häufig gemessenen Zusammenhang, bestätigt auch eine neue Auswertung des DIW anhand aktueller Daten des Sozio-oekonomisches Panel (SOEP). Höhere Haushaltseinkommen verbessern sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit.
- Sex sells: Bzw. Emotionen funktionieren am besten. Zu diesem Ergebnis kommt ein US-amerikanisches Experimentzu Einstellungen in Bezug auf die Besteuerung von Reichen. Geschichten über Luxuskonsum steigerten den gewünschten Steuersatz am stärksten. Die Aufklärung darüber, dass Reiche niedrigere Steuern zahlen, senkte den gewünschten Steuersatz teilweise sogar. Ob eine gewünschte Steuer von 50% (im Vergleich zu vermuteten 45%) oder eine Steuer von 45% (nach Aufklärung über die tatsächliche Besteuerung von 25%) auch politisch wirksamer ist, verrät die Studie nicht.
Verbrauchsteuern, Umwelt, Immobilien, Gender uvm.
Ausländer rein!
Portugal hat es schon mal gemacht. Jetzt will es auch Christian Lindner tun. Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte sollen Fachpersonal aus dem Ausland anlocken. Dafür sollen Teile des Lohns über drei Jahre von der Einkommensteuer befreit werden (im 1. Jahr 30%, im 2. Jahr 20% und schließlich im 3. Jahr 10%). Für eine alleinstehende Person mit einem Bruttojahreslohn von 36.000 Euro eine Steuerersparnis von insgesamt 4.639 Euro, bei 48.000 Euro Jahresbruttoeinkommen 6.897 Euro und bei einem 60.000 Euro Bruttojahreslohn 9.516 Euro. Angesichts der aktuellen politischen Stimmung mindestens mutig und aus rechtlicher Sicht an der Grenze zur “Inländerdiskriminierung”. Mit welchen alternativen Maßnahmen man auch Menschen, die schon in Deutschland arbeiten und ein mittleres Einkommen erhalten, erreichen würde, haben wir für den Tagesspiegel aufgeschrieben.
Weitere Nachrichten:
- Die Expertenkommission „Bürgernahe Einkommensteuer“ hat am 12. Juli 2024 ihre Abschlussberichte veröffentlicht. Die Reformvorschläge fokussieren sich auf mehr und höhere Pauschalen sowie stärkere Besteuerung an der Quelle, um die Zahl an Steuererklärungen zu verringern. Wohin die Reise bei den Vereinfachungen gehen sollte, machte Finanzminister Lindner zur Veröffentlichung klar: “Dabei bleibt allerdings mein Prinzip, dass Steuervereinfachungen nicht zu finanzieller Belastung führen dürfen, sondern in jeder Hinsicht entlasten sollen.” Ergebnis der Umsetzungen dieser Vorschläge wären zwar Vereinfachungen, aber vor allem Steuerbegünstigungen für Unternehmen und Selbstständige und damit Einnahmeausfälle des Staates sowie weniger Steuergerechtigkeit und Verschlechterungen für viele Beschäftigte, die nur noch Pauschalbeträge statt höherer tatsächlicher Belastungen absetzen könnten.
- Nachgereicht: Schon im Mai kommt der Bundesrechnungshof zu einem vernichtenden Urteil zur Tonnagesteuer. Anlass dafür war der 29. Subventionsbericht bei dem sie mit 11,1 Milliarden Euro für 2022 die Erbschaftsteuer als größte Subvention abgelöst hat. Dass die bisherigen Kostenschätzungen zu niedrig waren, hatte der Rechnungshof schon 2006 und 2009 nachgewiesen. Jetzt kritisiert der BRH, dass trotz Steuervergünstigung Schiffsbestand und Beschäftigung rückläufig waren und die letzte Evaluation 14 Jahre zurückliegt. Der BRH empfiehlt eine schnelle Evaluation und eine Grenze für die Begünstigung.
- Die neue Grundsteuer ist gerecht. “Viele, die sich jetzt darüber aufregen (und klagen) haben vorher zu wenig gezahlt. Die Gewinner leben in kleinen Wohnungen, sind meist nicht die Eigentümer, sondern werden an der #Grundsteuer über die Nebenkostenabrechnung beteiligt. Sie haben keine Lobby – viele von ihnen ahnen nicht einmal, dass sie betroffen sind.” Zu diesem Urteil kommt Expertin Gisela Färber (Spiegel, €). Umso wichtiger, dass die Bundesländer endlich Daten veröffentlichen, um die Wirkung der Steuerreform seriös zu modellieren!
- Geschlechtergerechte Steuerpolitik im Fokus: Dass die Umsetzung des AfD-Parteiprogramms für die eigene Wählerschaft der Partei aus finanz- und steuerpolitischer Perspektive eher nachteilig ist, dürfte bereits vielen bekannt sein. In einem aktuellen Beitrag für den Deutschen Juristinnenbund schauen wir uns an, was das Steuerprogramm der AfD für Frauen bedeutet. Nichts Gutes. (€)
Steuerverwaltung und Cum-Ex
Hamburger Untätigkeit – Teil 2
Die HSH-Aufklärung im Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss hat mit den ersten Zeugenbefragungen begonnen. Das bisherige Ergebnis: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nicht ermittelt, obwohl in der Finanzverwaltung mehrere Personen in dem Quasi-Geständnis der Bank, dem internen Untersuchungsbericht der Kanzlei Clifford Chance, eine ausreichende Grundlage gesehen hätten. Selbst Ermittlungen, um der Bank wenigstens ein Bußgeld aufzubrummen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Ein Zeuge sagte vor dem Ausschuss aus, dass in der Staatsanwaltschaft Hamburg selbst durchaus konträre Meinungen zu der Thematik Cum-Ex und deren strafrechtlicher Relevanz geherrscht hätten. Und tatsächlich sollte die Staatsanwaltschaft Köln ja wenige Jahre später auf der Informationslage, die in Hamburg schon 2014 vorlag, strafrechtliche Ermittlungen gegen hochrangige Bankmitarbeiter aufnehmen.
Auch die Betriebsprüfung schaute wegen der dort vorherrschenden Personalknappheit laut Zeugen nicht genauer hin. Sie arbeitete den Clifford Chance-Bericht gar nicht erst durch – und zog somit auch keine Lehren für den späteren Umgang mit Cum-Ex-Fällen wie dem der Warburg-Bank. Hier sehen wir die langfristigen, bitteren Folgen von einer unterbesetzten Finanzverwaltung offen vor uns.
Weitere Nachrichten:
- Cum-Ex-Hintermann Paul Mora lebt unbehelligt in Neuseeland. Die Bundesregierung antwortet nicht auf die Frage des Linke-Abgeordneten Perli, inwiefern sie sich um eine Auslieferung bemüht. Unterdessen ist Mora von den Wanted-Listen von Interpol und Europol verschwunden.
- Staatsanwaltschaft Köln scheitert mit Einzugsverfahren gegen Olearius: Das OLG Köln hat den Antrag aus Rechtsgründen als nicht zulässig abgelehnt. Nun bleiben der Staatsanwaltschaft nur zwei Optionen, Herrn Olearius seine Cum-Ex Erträge doch noch zu entziehen: Die Revision der Prozesseinstellung oder ein neuer Einziehungsauftrag, bei dem die Beweisaufnahme wieder von vorne beginnen müsste.
- Zu wenig Beamte zur Überprüfung der Gemeinnützigkeit: Rund 560.000 Vereine sind in Deutschland als gemeinnützig anerkannt. Darunter nach Recherchen von Report Mainz auch Heiler, Hetzer und Extremisten. Florian Köbler von der Deutschen Steuergewerkschaft sieht darin ein eklatantes Vollzugsproblem – wegen zu wenig Personal.
Schattenfinanz und Geldwäsche
Alkoholabhängige aus Polen, kriminelle Notare und eine zu lasche Aufsicht
Ein alkoholabhängiger Pole, der von sich selbst sagt: “Ich war ja die ganze Zeit besoffen”, ist Geschäftsführer von 13 deutschen Unternehmen – zum Beispiel einem Speditionsunternehmen am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte. Die beurkundenden Notare fanden dabei anscheinend regelmäßig nichts Auffälliges oder zumindest Meldepflichtiges. Und auch die Finanzbeamten, die die Unternehmen vor Ausstellung einer Steuernummer prüfen, nahmen regelmäßig keinen Anstoß. Elf weitere Strohleute aus seiner Heimatstadt Legnica leiten etwa 80 Unternehmen in ganz Deutschland. Das zeigen Recherchen des rbb. Zusammen mit weiteren Fällen aus Osteuropa sind es hunderte oder sogar tausende Strohleute und Strohfirmen. Laut Ermittlern tauchen sie mittlerweile in fast jedem größeren Verfahren auf und erschweren die Arbeit. Ein namentlich nicht genannter Steuerfahnder dazu: Die Notare sind “ein Teil des Systems”, aber gegen die “könne man in Deutschland kaum vorgehen”.
Nach schlechten Erfahrungen (Stichwort “Mitternachtsnotar”) sollte eine Task-Force bei der Berliner Notaraufsicht das eigentlich ändern. Und tatsächlich zeigt der gerade erschienene Tätigkeitsbericht der Geldwäscheaufsicht für 2023, dass mehr als die Hälfte aller Vor-Ort-Prüfungen (1.732) bei Notaren und Rechtsanwälten erfolgte, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Verpflichteten ausmachen. Und vielleicht ist es auch kein Zufall, dass die Recherchen von einem Berliner Sender stammen. Aber deutschlandweit wurden im ganzen Jahr nur Bußgelder von insgesamt 600.000 Euro verhängt, nur eine Geldbuße nach Bundesnotarordnung festgesetzt und nur ein Durchsuchungsbeschluss mit der Steuerfahndung erteilt. Die Aufsicht scheitert also offensichtlich weiter daran, die (wenigen) schwarzen Schafe zu identifizieren und konsequent zu bestrafen, stattdessen wird fleißig sensibilisiert und beraten. Die koordinierende Stelle, die aus dem Handelsregister ohne Weiteres die verdächtigen Strohfirmen und die beurkundenden Notare raussuchen könnte, macht ihre Arbeit anscheinend nicht. Die Finanzämter kommen der wiederholten Forderung des Bundesrechnungshofs für intensivere Prüfung nicht nach. Und die Bundesnotarkammer verteidigt weiter das angeblich geschützte Mandantenverhältnis ihrer Notare und Anwälte, das bei der Eintragung von Unternehmen eigentlich nichts zu suchen hat. So wird das nichts mit der Geldwäschebekämpfung.
Netzwerk Steuergerechtigkeit in der Presse
- “Wir haben Immobilienmilliardäre mit hohen Rücklagen, aber zu wenig bezahlbare Wohnungen, wir haben mehr Fabriken für große Verbrennerautos, als die Welt vertragen kann, und gerade da, wo das öffentliche Interesse am größten ist, also bei Infrastruktur oder Bildung, sind die Investitionslücken am größten” so und mit vielen anderen Argumenten zeigt Chris Vielhaus in Perspectives Daily warum die 4 großen Mythen gegen die Vermögensteuer Unsinn sind.
- Als Entlastung für Besserverdienende bezeichnet dieser taz-Artikel das Jahressteuergesetz 2. Julia dazu: “Durch die Anpassungen vergrößere „sich der maximale Vorteil durch den Kinderfreibetrag gegenüber den Kindergeldbeziehern noch einmal um 141 Euro“. Mehr dazu auch in diesem Artikel der Zeit.
- Unser Lieblingsartikel zu den aktuellen Zahlen der Verschonungsbedarfsprüfung in der SZ (€).
- Wie Christian Schneider (SPD, aktuell Ostbeauftragter) bei der Erbschafsteuerreform noch gehofft hat, dass die Superreichen jetzt Steuern zahlen und warum er sich geirrt hat, erklärt dieser taz-Artikel.
- Von Reinhald Messners Familienstreit nach der vorgezogenen Erbschaft über Tipps fürs eigene Testament landet auch dieser Spiegel-Artikel bei einer Kritik der Verschonungsbedarfsprüfung. (€)
- “Kaum ein Land, das Arbeit höher und Vermögen niedriger besteuert als Deutschland. Eine Milliardärsteuer wäre eine kluge Vermögensteuer.” So bringt Marcel Fratzscher im WiWo-Interview unsere Kernbotschaft auf den Punkt.
Veranstaltungen mit dem NWSG
- 27. August, Göttingen: Podiumsdiskussion mit Julia Jirmann (NWSG), Prof. Dr. Michael Hüthern (Direktor IDW), Prof. Dr. Christian Kaeser, (Global Head of Tax bei der Siemens AG), Dr. Monika Wünnemann (Abteilungsleiterin Steuern und Finanzpolitik beim BDI) bei Fritz Güntzler “Fritz im Dialog “Deutsche Wirtschaft in der Zukunftsbremse”
Und mit der Erbschaftssteuer-Uhr
- 16. September, Bremer Gewerkschaftshaus, 17-20 Uhr: Podiumsgespräch mit: Julia Jirmann (NWSG), Sarah Ryglewski (SPD, MdB, Staatsministerin beim Bundeskanzler), Björn Fecker (Bündnis 90/Die Grünen, Senator für Finanzen), Jens Eckhoff (CDU, MdBB, Fraktionssprecher für Haushalt und Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses) Stefan Körzell (DGB)
Hörens- und sehenswert
- Josef Rick im WDR: “Wohlhabende sind keine Leistungsträger, ganz im Gegenteil. Die allermeisten sehr Wohlhabenden in Deutschland sind Erben, die haben also überhaupt nichts geleistet. Und das Geld arbeitet für ihr Einkommen. Das hat nichts mit dem Begriff von Leistung zu tun. Leistung bringen die Leute, die sehr viel und engagiert arbeiten. Und die werden bei uns sehr stark besteuert. Insofern haben wir keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Gesellschaft in der die Leistungsträger besteuert werden und die, die wenig leisten nahezu steuerfrei sind. Das ist doch ein absurdes Theater.”
- Podcast Tax Quartett mit PStin Katja Hessel zu den geplanten steuerlichen Vergünstigungen für ausländische Fachkräfte (zunächst nur mit nwb-Abonnement, später frei auf Podcast-Plattformen verfügbar)
Ein Kommentar
Hat schon jemand überlegt, indirekt Vermögen zu besteuern, indem man eine allgemeine Steuer- und Abgabenbefreiung für Personen unterhalb einer bestimmten Vermögensgrenze einführt. Man könnte eine allgemeine Freistellung einrichten für Personen, die z.B. weniger als eine Million Vermögen haben. Die vermögenslose Masse wäre dann befreit und hätte eher Interesse sich wirtschaftlich zu engagieren. Die Vermögenden hätten Interesse, ihr Vermögen unter die Leute zu bringen und zu verteilen.