Mythen-Check: Was der Wirtschaftsbooster wirklich bringt

Eines der ersten großen Reformvorhaben aus dem Koalitionsvertrag ist auf den Weg gebracht: Das Kabinett hat sich auf massive Steuererleichterungen für Unternehmen geeinigt. Bereits ab dem 1. Juli sollen großzügige Abschreibungen für die Anschaffung von neuen Maschinen eingeführt werden. Ab 2028 soll dann die Körperschaftsteuer schrittweise um fünf Prozentpunkte gesenkt werden. Außerdem ist eine Superabschreibung für elektrische Firmenwagen und eine Erhöhung der Forschungsförderung geplant.

Die Bundesregierung beziffert die staatlichen Mindereinnahmen auf rund 46 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre. Dabei sind die Auswirkungen der Steuersenkung allerdings größtenteils noch nicht enthalten, da sie sich erst ab 2032 vollständig auswirken werden.

Tabelle 1: Steuermindereinnahmen bis zum Jahr 2029 (ohne volle Wirkung der Steuersatzsenkung bis 2032)
(in Mrd. €)

2025

2026

2027

2028

2029

Abschreibungen Anlagegüter -1.600 -5.845 -9.765 -7.285 -1.525
Steuersenkung      –      –     – -5.530 -10.345
Abschreibung elektrische Firmenwagen -930 -1.900 -1.675 +1.195 +950
Forschungsförderung      – -365 -375 -380 -380
Gesamt -2.530 -8.110 -11.815 -12.005 -11.300
davon Bund -794 -2.614 -3.784 -4.958 -5.767
davon Land -725 -2.407 -3.476 -4.495 -5.197
davon Gemeinden -1.011 -3.089 -4.555 -2.552 -336

Was als „Wirtschaftsbooster“ verkauft wird, ist in Wirklichkeit Finanzpolitik aus der Mottenkiste. Statt gezielter staatlicher Zukunftsinvestitionen und strukturellen Verbesserungen für private Investitionen, werden vor allem große und profitable (Industrie)Unternehmen subventioniert – teils mit der Gießkanne. Das ist wirkungsschwach für die Konjunktur, zu teuer für den Staat und ungerecht in der Verteilung.

Warum aber konnten sich die lautstarken Forderungen der Lobbyverbände durchsetzen? Weil sie ein einfaches Narrativ bedienen: dass niedrigere Steuern für Unternehmen automatisch Wachstum schaffen, Investitionen ankurbeln und sich am Ende sogar selbst finanzieren. Doch was ist wirklich dran an diesen Argumenten? Wir haben die gängigsten Mythen unter die Lupe genommen:

Mythos 1: Steuersenkungen sorgen für Investitionen 

Zur Sicherung des Wohlstands muss Deutschland mehr investieren und die wirtschaftliche Stagnation überwinden – darin sind sich nahezu alle Analysen einig. Zwar investieren viele Unternehmen zu wenig, doch liegt das nicht an zu hohen Unternehmenssteuern. Schon 2000 und 2008 wurden die Steuern auf einbehaltene Gewinne halbiert. Nach einer langen Wachstumsphase haben viele große Unternehmen hohe Rücklagen gebildet. Statt in Deutschland zu investieren, ist ein großer Teil davon ins Ausland und in den Finanzmarkt geflossen. In Befragungen begründen Unternehmen die fehlenden Investitionen mit Bürokratie, Arbeitskräftemangel, Mängeln an der Infrastruktur und fehlender Nachfrage. Steuern folgen regelmäßig erst auf den hinteren Rängen.

Auch die wissenschaftliche Evidenz spricht gegen die oft behauptete Wachstumswirkung von Unternehmenssteuersenkungen. Metastudien – etwa von Slemrod et al. 2024 und Gechert und Heimberger 2022 – kommen zu dem Ergebnis: Es gibt keine belastbare empirische Grundlage für die Annahme, dass niedrigere Unternehmenssteuern zu höherem Wirtschaftswachstum führen.

Selbst eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Lobbyverbandes “Stiftung Familienunternehmen” kommt in einem optimistisch gerechneten Szenario zu einem ernüchternden Ergebnis: Eine Steuersatzsenkung um 5 Prozentpunkte führt lediglich zu zusätzlichen Investitionen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro und zu 12.900 neuen Arbeitsplätzen – das entspricht einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,13 Prozent.

Ein Grund für die schwache Wirkung: Der niedrigere Steuersatz gilt unabhängig davon, ob investiert wird und auch wenn die Gewinne ins Ausland fließen. Staatliche Investitionen haben dagegen oft einen hohen Multiplikatoreffekt, weil sie private Investitionen nach sich ziehen. Der Wachstumseffekt ist also oft deutlich höher als die eigentlichen Kosten für die Investition. Durch die geplanten Steuererleichterungen fehlen dem Staat langfristig wichtige Einnahmen, um in den Standort Deutschland zu investieren – etwa in Infrastruktur, Bildung oder die Digitalisierung der Verwaltung. Das könnte insgesamt das gesamtwirtschaftliche Wachstum sogar senken, statt es zu fördern.

Etwas besser schneiden die erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten ab, da sie nur greifen, wenn tatsächlich investiert wird. Sie bieten einen Anreiz, ohnehin geplante Investitionen vorzuziehen. Damit die Unternehmen ihre Investitionen in Erwartung auf die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten nicht verzögern, sollen sie schon ab 1. Juli greifen. Theoretisch führen die Investitionen später zu höheren Gewinne, die dann besteuert werden – in diesem Fall dann aber mit der gesenkten Steuer. Ein großer Haken: Die Abschreibung fördert Investitionen in neue Maschinen, aber nicht die Ausgaben für zusätzliches Personal in der Forschung und Entwicklung.

Mythos 2: Steuersenkungen finanzieren sich selbst durch Wirtschaftswachstum 

Allein in den nächsten vier Jahren entgehen dem Staat rund 46 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Etwa 11 Milliarden Euro davon entfallen auf die ohnehin klammen Kommunen, weil die erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten die Einnahmen aus der Gewerbesteuer senken. Anders als Bund und Länder können sie die Mindereinnahmen auch kaum durch neue Schulden ausgleichen.

Ab 2032 steigen die jährlichen Mindereinnahmen durch die geplante Senkung der Körperschaftsteuer für Bund und Länder auf rund 23 Milliarden Euro pro Jahr. Damit gefährdet sie auf Dauer die Investitionsfähigkeit vor Ort, etwa für Straßen, Schulen und Energienetze.

Wird das durch Wachstum kompensiert? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Selbst ein Gutachten im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen zeigt, dass eine Körperschaftsteuersenkung um fünf Prozentpunkte selbst unter Einbezug aller Wachstumseffekte noch immer zu jährlichen Steuerausfällen von 17 Milliarden Euro führt – und das auch zehn Jahre nach Inkrafttreten. Das bedeutet: Rund 80 Prozent der Einnahmeverluste bleiben dauerhaft bestehen. Die oft behauptete Selbstfinanzierung von Steuersenkungen für Unternehmen ist somit ausdrücklich widerlegt.

Mythos 3: Deutschland ist Hochsteuerland für Unternehmen

Die Wirtschaftsverbände fordern seit Jahren – lange vor der aktuellen Krise – eine Absenkung der Körperschaftsteuer. Regelmäßig verweisen sie auf eine angeblich zu hohe Steuerbelastung für deutsche Unternehmen.

Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt: Mit knapp 30 Prozent liegt der nominale Unternehmenssteuersatz in Deutschland nur 2,8 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der G7-Staaten. Der effektive Steuersatz für Investitionen, z.B. einschließlich beschleunigter Abschreibung, lag 2023 bei 26,6 Prozent. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld, aber nicht an der Spitze (OECD 2024, Seite 37). Eine Senkung um fünf Prozentpunkte würde damit in erster Linie den schädlichen internationalen Steuerwettbewerb befeuern.

Die Bundesregierung stellt sich damit im übrigen gegen den internationalen Trend: Im Jahr 2023 haben laut OECD erstmals mehr Staaten ihre Unternehmenssteuern erhöht statt gesenkt (seit 2015) – darunter viele EU-Länder, die auf gezielte Investitionsanreize setzen statt auf pauschale Entlastungen.

Mythos 4: Niedrige Steuern für Unternehmen helfen auch der Mittelschicht 

Von den Steuersenkungen und erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten profitieren vor allem Unternehmen, die a) Gewinne erwirtschaften und b) ausreichend Kapital für neue Investitionen haben – etwa in Maschinen oder Anlagen. Das trifft auf viele kleinere Betriebe jedoch nicht zu: Ein Großteil der Kleingewerbetreibenden erzielt nur geringe Gewinne und zahlt wenig oder gar keine Unternehmenssteuern. Stattdessen konzentrieren sich steuerpflichtige Unternehmensgewinne stark auf wenige große Konzerne: Allein 413 multinationale Unternehmen mit Sitz in Deutschland erzielten 2021 hierzulande rund 100 Milliarden Euro Gewinn. Knapp 1.000 Unternehmen mit einem Gewinn von über 5 Millionen Euro vereinen fast die Hälfte aller gewerbesteuerpflichtigen Einkünfte auf sich.

Entsprechend kommt der Großteil der Steuererleichterungen bei den oberen Einkommensgruppen an: Insgesamt landen über 80 Prozent der Steuererleichterungen bei den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Selbst Großkonzerne wie Microsoft, die ihre deutschen Gewinne weitgehend in Steueroasen verschieben, würden von einer pauschalen Steuersenkung profitieren.

Die Annahme, dass steigende Gewinne von großen Konzernen und wachsende Vermögen von Milliardären letztlich auch breiten Bevölkerungsschichten zugutekommen – häufig als „Trickle-Down-Effekt“ bezeichnet – gilt inzwischen als empirisch widerlegt (OECD 2015; Hope & Limberg 2020).  In Deutschland wurden die Steuern auf einbehaltene Unternehmensgewinne in den Jahren 2000 und 2008 deutlich gesenkt. Seither haben sich die Vermögen der 100 reichsten Deutschen mehr als vervierfacht. Gleichzeitig haben immer mehr Menschen Schwierigkeiten, Mieten zu zahlen oder laufende Rechnungen zu begleichen. Zusätzlich gefährdet das Festhalten an fossilen Geschäftsmodellen die Lebensgrundlagen der Menschheit und die extreme Vermögenskonzentration ist eine Gefahr für die Demokratie.

Fazit: Die geplanten Maßnahmen sind zu teuer, zu wenig zielgerichtet und ungerecht.

Statt teurer Entlastungen mit der Gießkanne – auch für hochprofitable Großkonzerne – sollte die Bundesregierung lieber Strukturreformen angehen und gezielt in den Standort investieren. Nur so lassen sich die Rahmenbedingungen für private Investitionen nachhaltig verbessern. Notwendig sind zudem Entlastungen für untere Einkommen, eine Stärkung des Arbeitsangebots und gezielte Nachfrageimpulse – das würde nicht nur der Wirtschaft helfen, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

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