Steuergerechtigkeitscheck Juli 2025: Widersprüchliche Politik, eindeutiges Bürgervotum

Die Steuerpolitik der letzten Wochen war geprägt durch Widersprüche und Rückschritte – von der Steuersenkung im Bundestag bis zur erfolgreichen Erpressung auf G7-Ebene. Den Teilnehmenden unserer Steuerdebatte ist es dagegen gelungen, ihre ideologischen Differenzen zu überwinden und zu mehreren fast einstimmigen Empfehlungen zu gelangen. Wenn Demokratie öfter so funktionieren würde, wie bei der Bürgerdebatte in Erfurt und seltener so wie bei der G7 in Kanada – mehr Zuhören, weniger Machtmissbrauch – dann wäre die Welt mit Sicherheit ein besserer Ort. In unserem Podcast (Spotify, Apple, YouTube) kommen deswegen dieses Mal auch Stimmen der Teilnehmenden zu Wort.
+++Bürgerdebatte endet mit 13 Empfehlungen+++5 Szenen widersprüchlicher Steuerpolitik+++Spanien und Brasilien starten Initiative zu Milliardärsteuer+++Schon 137 länderbezogene Berichte veröffentlicht+++WHO plant 1 Billion US-Dollar Mehreinnahmen aus Steuern auf Tabak, Alkohol und Zuckergetränke+++Vorschläge zur Reform der Finanzkontrolle Schwarzarbeit+++
Einndeutiges Bürgervotum – Bürgerdebatte endet mit 13 Empfehlungen
Am Sonntag, den 29. Juni 2025, endete in Erfurt die erste bundesweite Bürgerdebatte zu gerechten Steuern und Finanzen. Dabei haben sich vierzig zufällig aus den Melderegistern ausgewählte Menschen sechs Tage lang intensiv mit Steuern und Staatshaushalt beschäftigt. Unterstützt wurden sie dabei von Expertinnen und Experten, die wir gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler ausgewählt haben. Ein Team von acht Moderatorinnen und Moderatoren vom nexus Institut sorgte für einen reibungslosen Ablauf, ausgewogene Diskussionen und eine Punktladung: Punkt 13:00 Uhr waren alle vierzehn Empfehlungen durchgesprochen und abgestimmt. Nur eine wurde abgelehnt.
Trotz aller Gegensätze und Vielfalt haben die Teilnehmenden Kompromisse gefunden, die am Ende teils mit überwältigender Mehrheit angenommen wurden – zum Beispiel stimmten 38 von 40 Teilnehmenden für eine Erbschaftsteuerreform, die Erben von großen Vermögen stärker in die Pflicht nimmt ohne die Substanz der Unternehmen zu gefährden. Auch die Experten, Partner und Förderer, die in Erfurt dabei waren, waren sich an einem Punkt einig: Mit Menschen über Geld und Staatsfinanzen zu sprechen funktioniert und es lohnt sich. Ich bin nachhaltig begeistert.
Wer mehr wissen will, findet hier:
- eine umfassendere Auswertung mit meinen Antworten auf drei kritische Nachfragen
- die Details zu den Empfehlungen
- Presseberichte aus Erfurt
Steuern für Gerechtigkeit
Widersprüchliche Politik – Im Zweifel für die „Investoren”
Der Trickle-Down-Effekt ist wissenschaftlich und medial widerlegt. Steuersenkungen für Reiche bringen nicht mehr Wohlstand für alle, sondern Ungleichheit, Machtkonzentration und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen (eine neue gewerkschaftliche Analyse dazu hier). Trotzdem lassen sich die wichtigsten steuerpolitischen Entscheidungen der letzten Wochen mit einem Motto zusammenfassen: Im Zweifel für die “Investoren” – ganz egal ob und wo sie investieren. Nur das Entwicklungsministerium und die UN leisten noch Widerstand. Eine etwas zugespitzte Zusammenfassung:
Szene 1: Trump hält was er verspricht. Wie schon in seiner ersten Amtszeit ist das erste große Gesetz von Donald Trump eine Mega-Steuersenkung für Superreiche. Nach einer Harvard-Prognose bringt es den Reichen ein Plus von 120.000 US-Dollar, den Armen ein Minus von 560 US-Dollar. Die KI-Konzerne erhalten die Zusage, zehn Jahre lang unreguliert die Gesellschaft verwüsten zu dürfen. Die angedrohte Steuererhöhung für ausländische Investoren kommt – natürlich – nicht.
Szene 2: G7-Staaten verschonen US-Konzerne und deutsche Investoren. In seinem Steuergesetz hat Trump mit einer Rachesteuer gedroht. Ausländische Investoren sollten auf ihre Investitionen in den USA Quellensteuern zahlen, wenn US-Konzerne auf ihre ausländischen Gewinne Steuern im Ausland Steuern zahlen müssten. Die G7-Finanzminister haben sich erpressen lassen und zugestimmt, die US-Konzerne von der globalen Mindeststeuer auszunehmen. Lars Klingbeil verkauft das als Erfolg: Die Mindeststeuer lebt weiter. Aber sie löst das eigentliche Problem nicht mehr. US-Konzerne sind für mehr als ein Drittel der Gewinnverschiebung verantwortlich. Sie dürfen weiterhin ihre Steuern in Deutschland mit den irischen Steuern verrechnen. Nur wenn sie dann noch unter 14 Prozent liegen, zahlen sie die Mindeststeuer, aber nicht in Irland, sondern in den USA. Der riesige Wettbewerbsvorteil der US-Konzerne besteht also weiter. Die deutschen Investoren dürften aufatmen, dass der Finanzminister nicht gemerkt hat: Die Rachesteuer hätte Investitionen in den USA teurer gemacht und wäre ein schönes Geschenk für den deutschen Standort gewesen.
Szene 3: Bundestag stimmt nächster Steuersenkung für Reiche zu. In den letzten 25 Jahren wurde die Steuer auf Unternehmensgewinne in Deutschland fast halbiert. Trotzdem wurde offensichtlich zu wenig investiert. Viele deutsche Unternehmen und Vermögende haben ihre niedrig besteuerten Gewinne im Ausland angelegt – nicht zuletzt in den USA. Jetzt soll eine weitere Steuersenkung Abhilfe schaffen. In der Expertenanhörung im Bundestag hoffen einige auf die „Signalwirkung” vor allem auch für ausländische Investoren, andere verweisen auf die Studien, die zeigen, dass diese Wirkung nicht eintreten wird. In unserer Stellungnahme kritisieren wir den Gesetzesentwurf deswegen als ungezielt, teuer und ungerecht. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte trotzdem zu.
Szene 4: Das deutsche Arbeitspapier zur UN-Steuerkonvention verfehlt das Thema. In New York wird aktuell in drei Arbeitsgruppen über die UN-Steuerkonvention verhandelt. Arbeitsauftrag ist unter anderem mehr Geld für nachhaltige Entwicklung durch eine gerechtere Aufteilung der Gewinne von großen Konzernen. Es verhandeln: Fast alle Staaten der Welt, außer die USA. Beste Voraussetzungen also für ein Konzept gegen Trumpsche Rachesteuern. Ende Juni haben die drei Arbeitsgruppen die ersten Entwürfe veröffentlicht. Ein aus dem deutschen Finanzministeriums entsandter Beamter leitet Arbeitsgruppe 3. Dieses Papier formuliert das ultimative Ziel wie folgt: „to increase domestic resource mobilization by increasing cross-border trade and investment” – also Investoren anlocken, um Entwicklung zu finanzieren. Thema verfehlt also. Kleiner Tipp: In der Arbeitsgruppe 2 zur gerechten Besteuerung von Digitalkonzernen vermisst die chilenische Arbeitsgruppenleiterin noch einen Co-Leiter aus einem reichen Land. Noch ist es nicht zu spät zu wechseln.
Szene 5: Die letzte Hoffnung? Während USA, Deutschland und die G7 Steuern für die Reichen gesenkt haben, war die Entwicklungsministerin in Sevilla, um mit Ministern und Staatschefs sowie NGO-Vertretern aus der ganzen Welt über die Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung zu beraten. Das Abschlussdokument lässt zumindest bei den Versprechen im Steuerbereich kaum Wünsche offen. Steuersysteme sollen progressiver werden, um Ungleichheit zu bekämpfen, Superreiche sollen effektiv besteuert werden und Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie wirtschaftlich aktiv sind. Die Unterzeichner – fast alle Staaten außer den USA – hoffen noch auf die UN-Steuerkonvention. Weil ihnen das zu unkonkret war, haben Spanien und Brasilien bei der Gelegenheit eine Koalition der Willigen zur Milliardärsteuer vereinbart. Im Fokus stehen zunächst bessere Daten. Deutschland war zunächst nicht dabei. Großer Tipp: Mitmachen! (Mehr Informationen zum FfD4-Prozess hier).
Weitere Nachrichten aus dem Bereich Gerechtigkeit:
- Vier Milliarden Euro Erbschaftsteuer – nur ein Fehler: Weil sich Heinz Hermann Thiele und seine Familie nicht rechtzeitig vor seinem Tod auf das richtige Steuersparmodell einigen konnten, wurde die Steuer ohne großen Erlass fällig (4 Milliarden Euro entspräche 26 % vom geschätzten Vermögen von 15 Milliarden Euro). Die Unternehmensanteile musste die Familie trotzdem nicht verkaufen. Mehr dazu in unserem Blog und z.B. in der SZ.
- Großer Erfolg – die ersten 137 länderbezogenen Berichte sind öffentlich: Rumänien hat die EU-Richtlinie zu öffentlichen länderbezogenen Berichten zwei Jahre früher umgesetzt als andere Staaten. Deswegen veröffentlichen viele große Konzerne jetzt zum ersten Mal länderbezogene Daten. Mehr dazu in einer ersten Analyse vom FairTaxMark hier.
Steuern für Gesundheit und Umwelt
Deutschlands Klimainvestitionen – warum 100 Milliarden bei Weitem nicht reichen
Eine neue Analyse des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) zeigt: Die 100 Milliarden Euro, die die Bundesregierung in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) einspeisen will, sind nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich benötigt wird. Zwar klingt die Summe groß, doch laut Studie liegt der jährliche zusätzliche Finanzbedarf für öffentliche Klimaschutzmaßnahmen bei 30 bis 90 Milliarden Euro – pro Jahr. Die geplanten 100 Milliarden Euro im KTF reichen im Schnitt nur für etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr bis 2035. Dabei ist der gesamte Investitionsbedarf bis 2045 noch deutlich höher: Deutschland müsste jährlich 215 bis 550 Milliarden Euro investieren, um klimaneutral zu werden.
Spannend ist, dass bis zu 89 Prozent dieser Summe sogenannte „Sowiesoinvestitionen“ sind – also Ausgaben für Dinge, die ohnehin ersetzt oder neu angeschafft werden müssen, etwa Heizungen, Autos oder Stromleitungen. Diese müssen „nur“ klimafreundlich gestaltet werden. Aber rund 11 Prozent – das sind bis zu 60 Milliarden Euro pro Jahr – sind echte Zusatzinvestitionen, die ohne gezielte Klimapolitik gar nicht getätigt würden. Genau hier kommt der KTF ins Spiel: Er soll diese Lücke zumindest teilweise schließen. Doch mit nur 10 Milliarden Euro jährlich bleibt die Finanzierung deutlich hinter dem Bedarf zurück. Die Analyse macht klar: Ohne zusätzliche Mittel, Reformen bei der Schuldenbremse und den Abbau umweltschädlicher Subventionen wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen.
Weitere Nachrichten aus dem Bereich Umwelt und Gesundheit
- Die Weltgesundheitsorganisation hat in Sevilla die 3 by 35 Initiative ausgerufen: Danach sollen durch Steuererhöhungen die Preise von drei ungesunden Konsumgütern Tabak, Alkohol und Zuckergetränken bis 2035 um 50 Prozent erhöht werden. Die WHO hofft auf Mehreinnahmen in Höhe von weltweit 1 Billion Dollar in den nächsten zehn Jahren.
Nachrichten aus dem Bereich Geldwäsche und Finanzverwaltung:
- Vorschläge zur Reform der Finanzkontrolle Schwarzarbeit: Mehr zentrale Ermittlungen, mehr Ermittler, eine Bundessteuerverwaltung oder die Weiterentwicklung der Zollfahndung zur Bundesfinanzpolizei. Das wünschen sich auch die Teilnehmenden der Bürgerdebatte. Bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit gibt es das alles schon, funktioniert aber bisher eher schlecht als recht. Das IAQ hat deswegen jetzt spannende Reformvorschläge vorgelegt.
- Klingbeil und die Aufbewahrungspflicht: Die Grünen haben im Bundestag einen Antrag eingebracht, die verlängerte Aufbewahrungspflicht für Beleg für Finanzinstitute noch weiter zu verlängern um Cum-Cum Fälle möglichst umfassend verfolgen zu können. Lars Klingbeil äußerte sich im Parlament offen für die Idee, mittlerweile winken Finanzministerium und Regierung aber scheinbar ab.
- Neuer Jahresbericht von Tax Inspectors Without Borders: 2,4 Milliarden US-Dollar Mehreinnahmen insgesamt und 20 Prozent höhere Unternehmenssteuereinnahmen in den Ländern, in denen die Prüfer tätig werden. Diese Ergebnisse trägt die OECD seit Jahren vor sich her. Ein Zukunftsmodell für die Entwicklungshilfe oder doch nur ablenkende Symptombehandlung in einem reformbedürftigen Steuersystem? Rückmeldungen nehmen wir dazu gerne entgegen.
- FIU legt Jahresbericht vor: Dass die Zahl der Verdachtsmeldungen zum ersten Mal seit langem wieder zurückgegangen ist, war schon bekannt. Zwischen den Zeilen und Gesprächen mit Experten wird erkennbar, dass dafür die Qualität der Bearbeitung deutlich zugenommen hat.
- Deutschland fällt im Financial Secrecy Index auf Platz 6: Weil weniger internationale Finanzströme durch Japan fließen, verdrängt Deutschland das Land vom unrühmlichen sechsten Platz. Der Ankündigung von Christian Lindner die Geldwäschebekämpfung vom Kopf auf die Füße zu stellen, ist weitgehend gescheitert. Mehr dazu in unserer Pressemitteilung.
- Datentreuhänder geht an den Start: Digitalisierung und Kooperation mit und zwischen Banken für die Geldwäschebekämpfung – Hessen hat einen Dienstleister ins Leben gerufen, der Kontodaten von unterschiedlichen Banken zusammenführt und Verdachtsmomente abgleicht. Ob das gut gehen kann?
- Bundesgerichtshof bleibt Cum-Ex-Linie treu: Zwei ehemalige Hedgefondsmanager sind mit ihren Revisionen bzgl. Haftstrafen und Einziehung von insgesamt knapp 4 Millionen Euro vollumfänglich gescheitert. Der Firmengründer Gabay kündigte aber schon den Weg zum Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.
- Europäische Staatsanwaltschaft mit konzertierter Aktion gegen Umsatzkarussell-Betrüger: Mit grenzüberschreitendem Handel von Luxusautos soll eine Bande 100 Millionen Euro hinterzogen haben. In Deutschland und Italien kam es zu Festnahmen. Konten und Güter im Wert von über 20 Millionen Euro wurden beschlagnahmt.
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