Gerechtigkeitscheck November – Global Tax Evasion Report 2024

Der neue Global Tax Evasion Report vom EU Tax Observatory enthält Updates zu fast allen unserer Arbeitsbereiche – vom Kampf gegen Steuerhinterziehung, über Unternehmensteuervermeidung bis hin zur Vermögensteuer – und eine ganze Reihe von neuen Daten und Perspektiven. Die haben wir in einer Sonderausgabe unseres Newsletters aufbereitet und um ein paar weitere Nachrichten ergänzt. Viel Spaß beim Lesen und Nachhören in unserem Podcast, dieses Mal mit der Ko-Autorin des Berichts, Sarah Godar.

+++Milliardäre und ihre legale Steuervermeidung+++Radikale Veränderungen in der Welt der Schattenfinanzplätze+++Die 1-Billionen-Dollar-Frage+++Macrons Steuerreform hat reiche Franzosen noch reicher gemacht+++Fast zeitgleich: OECD Pillar 1 trifft UN-Steuerkonvention+++Der Rechtsstaat kann funktionieren: Hanno Berger rechtskräftig verurteilt+++Termine: Machbarkeitsstudie “Bürgerrat Gerechtigkeit und Steuern” am 13.11. – jetzt noch anmelden+++

Der Global Tax Evasion Report 2024

Das dritte Jahrbuch zur Steuergerechtigkeit?

Zur Erinnerung: Der State of Tax Justice Report des Tax Justice Networks (Juli 2023) schätzt einen jährlichen Steuerverlust von 480 Milliarden US-Dollar aus der Vermeidung von Unternehmenssteuern (311 Milliarden US-Dollar) und grenzüberschreitender Steuerhinterziehung von Privatpersonen (169 Milliarden US-Dollar). Er fokussiert auf eine zentrale Empfehlung – eine UN-Steuerkonvention.

Der neue Global Tax Evasion Report 2024 vom EU Tax Observatory ist der erste Jahresbericht des EU-finanzierten Think Tanks und soll voraussichtlich alle zwei Jahre erscheinen. Er teilt das Ziel des State of Tax Justice Reports – nämlich eine globale Einigung für eine ambitioniertere Unternehmenssteuerreform und ein globales Vermögensregister. Aber er betont: “Globale Einigungen sollten der End- und nicht der Startpunkt sein”, weil sie große Kompromisse nötig machen. Und er erinnert: “ambitionierte Maßnahmen sind auch ohne internationale Koordination möglich”. Neben Steuerhinterziehung und Unternehmenssteuervermeidung blickt der Bericht auch auf die niedrigen Steuersätze der Milliardäre in ihren Heimatländern (ihre vermögensverwaltenden Briefkästen grenzen demnach an Hinterziehung) und fordert eine globale Mindeststeuer von zwei Prozent auf große Vermögen. Dazu liefert er eine große Sammlung von spannenden neuen Zahlen zu fast allen unseren Arbeitsbereichen und kommt mit zwei Reformvorschlägen auch auf Zusatzeinnahmen von etwa 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Zum Ausblick: In unserem Jahrbuch Steuergerechtigkeit (nächste Auflage im Februar 2024) zeigen wir, wie deutsche Milliardäre und Multimillionäre ihre Steuerlast in den letzten drei Jahrzehnten radikal gesenkt haben und wie die Korrektur dieser neugeschaffenen Privilegien und die Schließung weiterer Gerechtigkeitslücken im Steuersystem allein in Deutschland Mehreinnahmen von bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr bringen könnte.

 

 

Neuer Fokus in der internationalen Debatte

Milliardäre und ihre legale Steuerhinterziehung

Der Global Tax Evasion Report nutzt Steuerdaten aus den USA, Frankreich und den Niederlanden, um die persönlichen Steuersätze von Milliardären zu berechnen. Demnach zahlen die Superreichen nur zwei Prozent (in Frankreich) bis acht Prozent (in den USA) Steuern auf ihr Einkommen. Der wichtigste Grund für die niedrigen Steuersätze: Frankreich, Deutschland und viele andere Länder erlauben es ihnen, Gewinne steuerfrei in vermögensverwaltenden Holdinggesellschaften zwischenzuparken. Völlig legal also und trotzdem vom Ergebnis her aus Sicht des Berichts nah genug an der Steuerhinterziehung. Die USA regeln das seit vielen Jahrzehnten anders und besteuern auch angesparte Gewinne – es sei denn die Unternehmenseigentümer (siehe Jeff Bezos oder Warren Buffet) sparen sie direkt im Unternehmen an und finanzieren ihren Lebensstil durch Kredite. In vielen Fällen bleibt die Unternehmenssteuer die einzige Steuer, die die Milliardäre zahlen.

Etwa 2.700 Milliardäre mit einem Vermögen von 13 Billionen US-Dollar zahlen – abgesehen von der Unternehmenssteuer – laut Bericht nur etwa 44 Milliarden US-Dollar persönlicher Steuern. Eine Vermögensteuer von zwei Prozent würde allein von diesen 2.700 Milliardären Zusatzeinnahmen von 214 Milliarden US-Dollar bringen. In der Summe aus Unternehmenssteuer, Steuern auf Einkommen und der neuen Vermögensteuer kämen sie dann – je nach der Rentabilität ihres Vermögens – auf einen Steuersatz von etwa 40 bis 50 Prozent bezogen auf ihr Einkommen. Das entspräche in etwa dem, was ein Durchschnittsbürger an Steuern und Abgaben zahlt und würde ihr Vermögenswachstum nur verlangsamen statt aufzuhalten. Also eigentlich alles andere als ein radikaler Vorschlag.

In Deutschland gibt es nach Zählung von Forbes knapp 130 Milliardäre mit einem Vermögen von 550 Milliarden US-Dollar. Die Steuer würde demnach hier also etwa 11 Milliarden US-Dollar einbringen. Allerdings fehlen in den zugrunde gelegten Listen eine ganze Reihe von Milliardären und das Vermögen ist weit unterschätzt (mehr dazu demnächst).

Die gute Nachricht

Radikale Veränderungen in der Welt der Schattenfinanzplätze

Die Angst vor Steuerflucht war jahrelang das zentrale Argument für die Steuerprivilegien der Superreichen. Mit Daten der dänischen Steuerbehörde zeigt der Global Tax Evasion Report zum ersten Mal, wie radikal sich die Welt der Schattenfinanzplätze in den letzten Jahren geändert hat. Der 2017 gestartete automatische Informationsaustausch, der Banken weltweit zwingt, Informationen über ihre Kontoinhaber mit deren heimischer Steuerbehörden auszutauschen, hat die Steuerhinterziehung in Schattenfinanzplätzen demnach mehr als halbiert. Und asiatische Offshore-Zentren haben den Spitzenplatz von der Schweiz übernommen.

Anhand der dänischen Daten und weiterer aktueller Studien beschreibt der Bericht die bestehenden Qualitätsprobleme und Lücken in den Daten und die Herausforderungen für die Aufsichtsbehörden der Banken bei der Durchsetzung des Standards (verhängte Strafen schwanken von 762 US-Dollar bis 2,5 Milliarden US-Dollar, etwa 30 Prozent des Vermögens bleibt weiter ungemeldet), für die Steuerbehörden beim Abgleich der Daten mit der Steuererklärung (die Autoren schätzen, dass 10 Prozent des Vermögens zwar gemeldet, aber noch nicht besteuert ist), und für die weitere Forschung (der Schattenfinanzplatz USA fehlt in den Daten weitgehend, Immobilien und andere Wertgegenstände als neues Fluchtvehikel?).

Unternehmenssteuerreform

Die 1-Billionen-Dollar-Frage

Der Global Tax Evasion Report 2024 enthält auch eine ganze Sammlung von Daten über die Gewinnverschiebung von großen Konzernen in Steueroasen. Dass es sich dabei nicht immer um legale Steuervermeidung handelt, zeigt aktuell die neue Nachforderung von fast 30 Milliarden US-Dollar der US-amerikanischen Steuerbehörde an Microsoft. Die meisten Daten im EUTO-Bericht sind nicht neu, aber im neuen Kontext spannend:

  • 1 Billion US-Dollar ist die Summe der Unternehmensgewinne, die 2022 schätzungsweise in Steueroasen landete, 140 Milliarden US-Dollar davon in Irland, der zweitgrößten Steueroase weltweit.
  • 35 Prozent ist der Anteil der ausländischen Gewinne, der 2022 in Steueroasen landete. Daran hat sich seit OECD-BEPS Initiative (2015), US-Tax Cuts and Jobs Act (2017) und dem Ende des Double Irish (2015-2020) noch nichts geändert. Trotzdem gab es ein paar wesentliche Änderungen. Seit der Explosion der Steueroasengewinne von 2010 bis 2015 sind sie immerhin nicht mehr gestiegen und seit TCJA und dem Ende des Double Irish werden die Steueroasengewinne der Digitalkonzerne nicht mehr mit 0 Prozent besteuert, sondern sind in Irland oder der neuen US-Lizenzbox gelandet. Dadurch hat Irland seine Unternehmenssteuereinnahmen vervielfacht, auf 22,6 Mrd. (oder 4.500 Euro pro Einwohner).
  • 470 Milliarden US-Dollar wären rein rechnerisch die Zusatzeinnahmen, wenn alle Gewinne mit 20 Prozent besteuert würden und die größte Steueroase sind angeblich die Niederlande. Ein genauerer Blick legt nahe: Verlustvorträge, die deutschen Personengesellschaften und viele andere Sondereffekte reduzieren die potenziellen Zusatzeinnahmen einer Mindeststeuer, deswegen sind 470 Milliarden US-Dollar zu viel. Und die durch die Niederlande geleiteten Gewinne lassen sich wahrscheinlich schlecht mit den in Irland gelandeten Gewinnen vergleichen.

Weitere Nachrichten zu Unternehmenssteuern und Internationaler Steuergerechtigkeit

Fast zeitgleich: OECD Pillar 1 trifft UN-Steuerkonvention

  • Am 10.10. hat die OECD ihren Entwurf für ein multilaterales Abkommen zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten und eine aktualisierte Folgenschätzung veröffentlicht. Sie erwartet, dass 200 Milliarden US-Dollar neu verteilt werden – das meiste davon von Steueroasen in die Länder, wo die Kunden sitzen (vergleiche: die eigentlich neu zu verteilenden Gewinne betragen mindestens eine Billionen US-Dollar aus den Steueroasen). Wenn das Abkommen demnächst unterschriftsreif ist, müssen erst genug Unterschriften zusammenkommen und dann müssen sich die Unterzeichner auf einen Termin einigen, wann es in Kraft treten soll und ab wann es angewandt werden soll – frühestens also 2025, wahrscheinlich eher 2026 oder später. Große Frage ist derzeit die Position der USA: Sie haben gemeinsam mit dem OECD-Entwurf eine öffentliche Konsultation gestartet. Dort schreibt die US-Regierung unterstützend: Die OECD-Vorschläge “…reflect countless hours of discussions, across multiple U.S. administrations, and among hundreds of negotiators. Treasury stands behind the negotiations, which have resulted in many difficult compromises…” Ein paar offene Fragen gibt es anscheinend trotzdem noch.
  • Einen Tag nach der OECD, am 11.10. reichte Nigeria im Namen der Afrikagruppe einen Vorschlag für eine UN-Resolution ein. Demnach soll ein intergovernmental committee bestehend aus zehn ständigen Vertretern idealerweise bis Juni 2025 eine UN-Konvention vorlegen, die Steuerhinterziehung, Gewinnverschiebung und “other priorities” umfasst.

Weitere Nachrichten zu Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Macrons Steuerreform macht Reiche reicher, Arme nicht

  • Macrons Steuerreformen hat reiche Franzosen noch reicher gemacht und dabei nicht zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Expertengremium, das von der französischen Regierung zur Evaluierung der Steuermaßnahmen eingesetzt wurde. Teil von Macrons Reform im Jahr 2017 war u.a. Ersetzung der allgemeinen Vermögensteuer (ISF) durch eine neu ausgerichtete Steuer auf Immobilienvermögen (IFI) sowie die Senkung der Kapitalbesteuerung. Positive Auswirkungen auf die Beschäftigung oder die Investitionen von Unternehmen konnte durch die Abschaffung der allgemeinen Vermögensteuer nicht festgestellt werden. Allerdings ein Verlust von Steuereinnahmen (allein im Jahr 2022 rund 4,5 Mrd. Euro) sowie eine deutliche Zunahme der Ungleichheit.
  • Deckname Familie – Die “Stiftung Familienunternehmen” sowie der Verein “Die Familienunternehmer” setzt sich bei Politik und Öffentlichkeit erfolgreich für die Interessen der größten Unternehmen in Deutschland ein. oxiblog.de beleuchtet die Lobbyarbeit der Organisationen.
  • Statt Bierdeckel jetzt massives Steuergeschenk an Milliardäre und Multimillionäre? “Auch ausgeschüttete Gewinne können gute Gewinne sein.” zitiert Wirtschaftsprüferin Katrin Fischer anscheinend aus der Rede von Friedrich Merz auf dem Deutschen Steuerberatertag. Demnach sollen Gewinne nicht länger so besteuert werden wie Arbeit (sondern niedriger?!) und zwar rechtsformunabhängig – also egal ob sie von der Personengesellschaft an die Eigentümer fließen oder von der Kapitalgesellschaft ausgeschüttet werden. Damit würde aus einem Privileg der Milliardäre und Multimillionäre (und ihrer im Family Office steuerfrei angesparten Gewinne) eine faktische Halbierung der Steuer für wohlhabende Unternehmenseigentümer.

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Der Rechtsstaat kann funktionieren: Hanno Berger verurteilt

Hanno Berger ist rechtskräftig verurteilt! Der ehemalige Star-Steueranwalt ist mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof krachend gescheitert und somit zu acht Jahren Haft verurteilt (Link zur BGH-Entscheidung). Das Urteil hat hohe Symbolkraft, denn es zeigt: Der Rechtsstaat kann funktionieren. Trotz der Flucht Bergers in die Schweiz, trotz hochklassiger Verteidigung durch einen ehemaligen Richter des BGH und trotz seines ehemaligen “Star-Status”. Zudem unterstreicht das Urteil erneut, dass Cum-Ex nicht nur ein Phänomen unter einigen Bankern war, sondern eine gesamte Branche mit Anwälten, Steuerberatern, Lobbyisten und vielen mehr von erheblicher krimineller Energie durchdrungen war (und möglicherweise noch ist).

Die Strafe kann sich noch erhöhen, da in dem zweiten Verfahren gegen Berger, in dem er vom Landgericht Wiesbaden zu acht Jahren und drei Monaten verurteilt worden war, die Revision noch aussteht. Die Erfolgsaussichten sind angesichts der eindeutigen Revisionsabweisung durch den BGH im Fall des Bonner Landgerichts wohl als gering einzuschätzen. Im Anschluss würde eine Gesamtstrafe gebildet, die bis zu 15 Jahre betragen kann. Ein Interview mit uns zur Verurteilung Bergers und der Cum-Ex-Aufklärung generell beim SWR gibt es hier.

Weitere Nachrichten:

  • Brorhilker gewinnt den Machtkampf in NRW: Nach viel öffentlicher Kritik und einem Klärungsgespräch zwischen Minister und Oberstaatsanwältin Brorhilker bekommt die Cum-Ex-Chefaufklärerin nun eine tatsächliche personelle Stärkung. Die Planstellen in der Hauptabteilung werden unter anderem von 36 auf 40 erhöht. Handelsblatt Crime erzählt die Entwicklungen nach.
  • Gegen den Hintermann von Cum-Ex in Dänemark Sanjay Shah laufen auch in Deutschland Verfahren wegen Geldwäsche. Die Verfahren gegen sechs Mitbeschuldigte wurden nun gegen Geldzahlung zwischen 30.000 und 100.000 Euro eingestellt; gegen Shah selbst wird weiter ermittelt.
  • Nächster Akt im Streit um den Cum-Ex Untersuchungsausschuss im Bundestag: In der Gerichtsverhandlung um eine Auskunftsklage des Tagesspiegels räumt das Kanzleramt ein, dass ein Rechtsgutachten aus dem April 2023 einige der von der Union formulierten Fragen als für zulässig erklärte. Weitere Fragen des Tagesspiegels bleiben bisher unbeantwortet.

 

Veranstaltungstipps – (inoffizielle) Serie zur Reduzierung von Ungleichheit und Besteuerung von Reichtum

  1. DGB/Böckler: 9.11.2023 – 9:30 – 18:00Uhr VERTEILUNGSFRAGEN IN KRISENZEITEN – SOZIALE SPALTUNG BEKÄMPFEN, TRANSFORMATION GERECHT GESTALTEN (nur noch Online-Anmeldungen): https://www.boeckler.de/de/aktuelle-veranstaltungen-2718-verteilungsfragen-in-krisenzeiten-50387.htm)
  2. Forum New Economy: 10.11.2023 – 9:30-17:30Uhr: Mehr Reichtum für alle – nur, wie? Zur Vorstellung eines Vermögens-Simulators für Deutschland (https://newforum.org/event/xii…)
  3. Netzwerk Steuergerechtigkeit: 13.11.2023 – 18 Uhr: Vorstellung Machbarkeitsstudie: Ein Bürgerrat zu Gerechtigkeit und Steuern. Wie kann Bürgerbeteiligung die öffentliche Debatte zu Gerechtigkeit und Steuern stärken? u.a. mit N. Walter-Borjans, H. Hirte. Anmeldung unter: https://www.eventbrite.de/e/vo…

Online:

Saarbrücken:

  • 8.11.2023 19:00 Uhr – 20:00 Uhr: Erben gerechter machen Mittel gegen Vermögenskonzentration und Ungleichheit im Steuerrecht – Gespräch mit Julia Jirmann (NWSG) und Timo Ahr (MdL, stellvertretender DGB-Bezirksvorsitzender Rheinland-Pfalz/Saarland) Ort: Bildungszentrum Kirkel der Arbeitskammer Multifunktionsraum Am Tannenwald 1 66459 Kirkel, Anmeldung und Infos

Wien

 

Hörens- und sehenswert

 

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