Erneut Steuererlasse in Milliardenhöhe für Großerben

Julia Jirmann | Veröffentlicht am |
Die Erbschaftsteuer sollte eigentlich dafür sorgen, dass besonders große Vermögen einen fairen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Doch aufgrund der weitreichenden Privilegien für superreiche Unternehmenserben ist sie weder effektiv noch gerecht. Unsere Auswertung der neuen Steuerdaten zeigt: Erben von Milliardenvermögen zahlen kaum Steuern. 45 Großerben erhielten 2024 im Schnitt 260 Millionen Euro, zahlten darauf aber nur 1,5 Prozent Steuern. Dank der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung sparten sie 3,4 Milliarden Euro Steuern.
Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2024 für 45 Großerben Erbschaft- oder Schenkungsteuern erlassen – deutlich mehr als im Vorjahr (26 Fälle). Dabei wurden begünstigte Vermögen von rund 12 Milliarden Euro übertragen. Zwar setzten die Finanzämter darauf zunächst Steuern von 3,5 Milliarden Euro fest, doch rund 95 Prozent davon wurden nachträglich erlassen. Effektiv zahlten die Erben damit nur rund 180 Millionen Euro (etwa 1,5 Prozent). Insgesamt verzichtete der Staat durch die Erlasse auf Einnahmen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro – ein Anstieg um 1,3 Milliarden gegenüber 2023.
Die Erlassmöglichkeit wurde erst 2016 eingeführt, und weil die Bearbeitung dieser Fälle in den Finanzämtern oft mehrere Jahre dauert, wird das tatsächliche Ausmaß nun erst nach und nach sichtbar. Für das Jahr 2021 wurden erstmals Zahlen veröffentlicht: Damals ergingen zehn Erlassbescheide über knapp eine halbe Milliarde Euro. 2022 waren es bereits 24 Fälle mit einem Steuerverzicht von 1,5 Milliarden Euro, 2023 schließlich 26 Fälle mit 2,1 Milliarden Euro.
Insgesamt wurden 2024 laut Steuerstatistik 113,2 Milliarden Euro (Vorjahr: 120 Milliarden) vererbt oder verschenkt und steuerlich erfasst. Darauf wurden zunächst 13,3 Milliarden Euro Steuern festgesetzt, tatsächlich fällig wurden jedoch nur 10 Milliarden Euro (Vorjahr: 9,3 Milliarden). Rein rechnerisch ergibt sich daraus ein durchschnittlicher Steuersatz von 8,8 Prozent. Die meisten kleineren Erbschaften und Schenkungen werden dank hoher Freibeträge gar nicht besteuert und erscheinen deshalb auch nicht in der Statistik.
Die Verschonungsbedarfsprüfung: Steuererlass für Großerben
Seit 2009 können Erben von Unternehmensvermögen Steuerbefreiungen von bis zu 100 Prozent in Anspruch nehmen. Das Bundesverfassungsgericht stellte 2014 fest, dass diese Privilegien für große und sehr große Unternehmensvermögen zu weitreichend seien, und forderte eine Beschränkung sowie die Schließung bestehender Schlupflöcher. Der Gesetzgeber reagierte 2016, indem er die Steuerbefreiung für Unternehmensvermögen ab 26 Millionen bis 90 Millionen Euro schrittweise reduzierte. Zugleich wurde jedoch eine neue Möglichkeit der vollständigen Befreiung sehr großer Erbvermögen geschaffen – die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung. Dadurch können Milliardenvermögen weiterhin steuerfrei übertragen werden, und die Chance auf eine gerechte Lösung – etwa eine über viele Jahre gestreckte Stundung – wurde vertan.
Bei der Verschonungsbedarfsprüfung müssen Erben und Beschenkte nachweisen, dass sie bedürftig sind. Als bedürftig gilt nach dem Gesetz, wer zum Stichtag der Übertragung nicht über genügend „nicht begünstigtes Vermögen“ (insbesondere Privatvermögen) verfügt, um die Erbschaftsteuer zu begleichen. Allerdings muss dabei nur die Hälfte des eigenen Privatvermögens für die Steuerzahlung eingesetzt werden. Diese Konstruktion eröffnet erhebliche Gestaltungsspielräume: Liquides Vermögen, das eigentlich für die Steuerzahlung genutzt werden könnte, kann in begünstigtes Vermögen umgewandelt oder rechtzeitig auf vermögenslose Kinder übertragen werden, die die Steuer angeblich nicht zahlen können. Unberücksichtigt bleiben dabei künftige Gewinne und Dividendenerträge aus dem geerbten Unternehmen. Auch die Übertragung auf eine Familienstiftung ist möglich: In diesem Fall wird für den Steuererlass lediglich geprüft, ob die Stiftung über genügend eigenes Vermögen zur Steuerzahlung verfügt, nicht aber die tatsächlichen Erben.
Verzerrte Statistik: Scheinbar höhere Steuersätze
Die Verschonungsbedarfsprüfung bringt ein weiteres Problem mit sich: Damit die Steuer erlassen werden kann, müssen die Vermögen zunächst vollständig bewertet werden – obwohl am Ende keine Steuer erhoben wird. Dieser Prozess dauert oft mehrere Jahre und führt nicht nur zu ineffizienter Arbeit bei Finanzbehörden und Beratern, sondern auch zu einer verzerrten Statistik.
Laut Steuerstatistik wurden für Erbschaften und Schenkungen über 20 Millionen Euro im Schnitt 25,3 Prozent Steuern festgesetzt. Dass ein erheblicher Teil dieser Summen anschließend wieder erlassen wird, bleibt jedoch verborgen. In der Realität erweist sich die Erbschaftsteuer als eine „Dummensteuer“: Sie wird vor allem von entfernten Verwandten und bei mittleren Erbschaften erhoben, während die größten Vermögen weitgehend verschont bleiben – ein Befund, den die offizielle Statistik nicht offenlegt.
Tabelle 1: Erbschaft- und Schenkungsteuern im Festsetzungsjahr 2024
Regressive Steuer: Wer viel erbt, zahlt besonders wenig
Während wir die Daten zu den Steuererlassen 2023 noch gesondert anfordern mussten, veröffentlicht das Statistische Bundesamt sie inzwischen selbst und weist in seiner Pressemitteilung erstmals ausdrücklich auf die Erlasse hin. Da jedoch in den separaten Daten nicht ausgewiesen wird, auf welches Festsetzungsjahr sich die Erlasse beziehen, lässt sich der tatsächliche effektive Steuersatz weiterhin nur näherungsweise bestimmen.
Geht man davon aus, dass sich der Steuererlass von 3,4 Milliarden Euro für die 45 Großerben auf das Festsetzungsjahr 2024 bezieht, läge der tatsächliche Steuersatz für Übertragungen über 20 Millionen Euro bei rund 5,9 Prozent. Zum Vergleich: 2013, also vor der Reform und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wurden rund 3 Prozent fällig. Die Reform hat damit kaum Wirkung entfaltet: Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist weiterhin stark regressiv. Wer sehr viel erbt oder geschenkt bekommt, zahlt prozentual weniger als Personen, die ein kleineres steuerpflichtiges Vermögen oberhalb der Freibeträge erhalten. So verschenkt die Erbschaftsteuer ihr Umverteilungs- und Einnahmepotenzial und verfestigt die ohnehin hohe Vermögensungleichheit in Deutschland.
Teure Subvention: Ausnahmen für Unternehmenserben sind größte Steuersubvention
Addiert man zu dem Erlass für die Großerben von 3,4 Milliarden Euro noch die Steuerbegünstigungen für Unternehmensvermögen unterhalb von 26 Millionen Euro, wurden bei den Unternehmensübertragungen im vergangenen Jahr rund 7 Milliarden Euro Steuern erlassen (eigene Berechnungen auf Basis der Steuerstatistik). Damit stellen die Erbschaftsteuer-Ausnahmen für Unternehmen die größte Steuersubvention in Deutschland dar. Auch im Subventionsbericht der Bundesregierung werden sie als solche ausgewiesen – dort allerdings deutlich unterschätzt mit lediglich 4,5 Milliarden Euro.
Davon profitieren vor allem die ohnehin Reichen: Derzeit erhalten die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft die Hälfte des gesamten Erbvermögens, während die ärmere Hälfte leer ausgeht. Das widerspricht dem Leistungsprinzip. Ob das beabsichtigte Ziel – nämlich zusätzliche Arbeitsplätze und Investitionen – damit erreicht wird, ist bis heute nicht belegt. Laut aktuellen Studien wirken die Privilegien dem Ziel sogar entgegen und können gesamtwirtschaftlich nachteilig sein (OECD: 2021, OECD: 2025, Beirat des BMF: 2012). Denn sie subventionieren Erben unabhängig davon, ob sie wirklich unternehmerisch tätig sind und ob sie für die Leitung großer Unternehmen geeignet sind. Das schützt vor allem den Status Quo, behindert Innovation und bremst den Strukturwandel.
Nächste Chance für eine Reform
Das Bundesverfassungsgericht hat die Erbschaftsteuerprivilegien bereits mehrfach als verfassungswidrig eingestuft. Aktuell prüft das Bundesverfassungsgericht die Regelungen für Unternehmenserben erneut. Eine Entscheidung hat das Gericht noch für dieses Jahr angekündigt. Unabhängig vom Urteil der Richter in Karlsruhe ist jedoch klar: Angesichts der extremen Vermögensungleichheit und der milliardenschweren Kosten dieser Subventionen ist eine Reform der Erbschaftsteuer politisch dringend geboten.
Notwendig wäre eine echte Reform: keine komplizierten Ausnahmen mehr, sondern langfristige Stundungsregelungen, die Arbeitsplätze schützen, ohne Milliardenvermögen steuerfrei weiterzugeben. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer muss wieder tatsächlich progressiv wirken – große Vermögen müssen einen höheren Beitrag leisten.
Zum Weiterlesen:
- Die wichtigsten Mythen zur Erbschaftsteuer im Realitäts-Check
- Unser Reformvorschlag
- Die Entwicklung der Steuerbegünstigung seit 2009
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