Höhere Vermögensteuer in Norwegen, weniger Einnahmen? Ein weit verbreiteter und falscher Mythos
Sinken die Einnahmen aus der Vermögensteuer in Norwegen, seit sie 2022 erhöht wurde? Lobbygruppen weltweit verbreiten diese Behauptung seit über einem Jahr. Ein Faktencheck zeigt: Die Behauptung ist weit verbreitet – aber falsch. Das Gegenteil ist wahr.
@moment_magazin Norwegen hat 2022 die Vermögensteuer für Reiche erhöht. Seither bringen Neoliberale und Medien einen hartnäckigen Mythos in den Umlauf: Die Einnahmen aus der Steuern seien danach gesunken. Die Reichen seien in Massen abgehaut. Das passt gut in ihr Weltbild – ist aber „leider“ völlig falsch. @blahabarbarin erklärt es im Video. Mehr dazu, wie sich so ein Unsinn verbreitet, findest du im Artikel. Link in Bio! #vermögenssteuer #faktencheck #momentmal #barbarablaha #mythos ♬ Originalton – Moment Magazin
Gegen Vermögensteuern wird oft mit falschen und absurden Behauptungen gekämpft. Eine davon ist in den vergangenen Jahren diese: Wer Vermögensteuern erhöhe, habe später sogar weniger Steuereinnahmen als vorher. Weil die Reichen mit ihrem Geld abhauen.
Die Vermögensteuern in Norwegen
Mehr Steuern, weniger Einnahmen? Klingt komisch? Angeblich soll es aber einen Beweis dafür geben: die Vermögensteuer in Norwegen. Denn diese wurde 2022 leicht erhöht. Für die reichsten Menschen beträgt der maximale Steuersatz seither bis zu 1,1 %.
Ein Artikel des „Guardian“ wollte 2023 wissen, wie sich das auswirkte. Und er behauptete, dort sei nach der Erhöhung so viel Geld von Überreichen aus dem Land geflossen, dass die Maßnahme zum Minusgeschäft wurde.
Andere Medien trugen die Geschichte weiter – die falschen Zahlen blieben. Neoliberale Ökonom:innen fühlten sich in ihrer Steuer-Abneigung bestätigt und stürzten sich triumphal darauf. Ihre „Thinktanks“ verbreiteten die Behauptung – weltweit und auch in Österreich – in ihren Veröffentlichungen. Der norwegische Staat habe nicht mehr eingenommen, sondern würde 540 Millionen Euro verlieren. Es sei „ein warnendes Beispiel“, sagt etwa die Agenda Austria. Und auch in „Materie“ (dem Online-Parteimagazin der Neos) will man abgeschreckt sein und ortet ein drohendes „Milliardenloch“, das man in Österreich bloß nicht wiederholen solle.
Anhänger:innen der Ideologie schicken die Geschichte über soziale Medien weiter. Dort wurde sie unter anderem auch von Elon Musk aufgegriffen. Wer nach der norwegischen Vermögenssteuer im Web sucht oder eines der vielen fehleranfälligen „KI“-Modelle danach befragt, bekommt noch heute fast nur Berichte zu lesen, die dieses angebliche Scheitern der Steuer beschreiben.
Die sagenumwobene Laffer-Kurve
All das passt hervorragend in diverse Mythen, die rechte und neoliberale Politik immer wieder wiederholen, um die Vermögen der Überreichen nicht gerecht zu besteuern. Sie sagen immer wieder, höhere Steuern sollen nichts bringen, denn das Vermögen der Reichen sei zu beweglich. Stimmt das, wäre ihre Reichen-freundliche Politik nicht mehr einfach nur unsozial im Interesse so mancher Großspender:innen, sondern geradezu einfach „realistisch“.
Diese Gruppen berufen sich dabei immer wieder auf die Theorie der „Laffer-Kurve“. Die besagt einfach gesagt: Irgendwann sind Steuern zu hoch, dann werden sie vermieden oder richten mehr Schaden als Nutzen an. Diese Theorie ist nicht unbedingt komplett falsch. Aber sie wird sehr oft falsch interpretiert. (Ein VWL-Professor namens Alexander Van der Bellen hat das im Nationalrat der FPÖ schon einmal unterhaltsam erklärt.)
Selbstverständlich führt nicht jede erhöhte Steuer zu niedrigeren Einnahmen. Die Frage ist immer, wann der Punkt erreicht ist.
Faktencheck: Vermögensteuer in Norwegen bringt Rekordeinnahmen
Bei einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 0,85 auf 1,1 Prozent Vermögensteuern in Norwegen ist dieser Punkt offenbar nicht erreicht. Denn die Steuereinnahmen aus Vermögensteuern in Norwegen sind mit der minimalen Erhöhung nämlich in Wahrheit stark gestiegen.
Das passt deshalb auch viel besser zur sonstigen Forschung über Vermögensteuern. Die für Kommentare über Steuerpolitik bekannte Social-Media-Persönlichkeit James Medlock (ein Pseudonym) hat getan, was Journalist:innen und Thinktanks bisher verabsäumt haben: Er hat die Zahlen nachgeprüft. Und auf Basis des norwegischen Finanzministeriums sieht das dann so aus.
Das Ergebnis ist ziemlich logisch. Die Steuereinnahmen aus der Vermögensteuer sind seit der Erhöhung nicht gesunken, sondern so hoch wie nie zuvor. Nahm Norwegen 2021 noch 18,4 Milliarden Norwegische Kronen ein, waren es 2022 bereits 26,4 Milliarden und 2023 bereits 28,6 Milliarden Kronen (inflationsbereinigt).
In Euro gerechnet heißt das im heutigen Wechselkurs: Die Einnahmen stiegen von etwa 1,55 auf 2,41 Milliarden Euro. Die gerechten Beiträge zum Gemeinwesen aus riesigen Vermögen stiegen in Norwegen nach der erhöhten Vermögensteuer also um etwa 55%.
Wie kommt es zur falschen Behauptung?
Die Berechnung des Guardian beruhen auf falschen Zahlen. Tatsächlich sind einige Milliardär:innen begleitet von viel Öffentlichkeitsarbeit aus Norwegen nach der Erhöhung weggezogen. Das haben Forscher:innen und Befürworter:innen der Steuer aber auch vorher erwartet. Denn in Prognosen über Steuern auf bewegliche Werte wird in der Regel ein gewisser Teil an Steuerverweigerung einberechnet.
Doch der Guardian hat zur Einschätzung über das weggeschaffte Vermögen einen norwegischen Juristen und Professor für Steuerrecht befragt. Er hatte das betroffene Vermögen auf 600 Milliarden Kronen geschätzt. Wie sich herausstellte, war das um ein Vielfaches zu hoch – am Ende waren es weniger als 50 Milliarden Kronen. Der Guardian hat seine Zahlen übernommen. Ein Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen.
Die verbliebenen Überreichen in Norwegen sind übrigens auch nach der Steuererhöhung immer noch überreich. Aber sie tragen wenigstens ein bisschen mehr zum Allgemeinwesen bei. Und auch für die, die ihren gerechten Beitrag verweigern, hat sich Norwegen 2024 etwas überlegt: Eine verbesserte „Exit-Steuer“ wird künftig dafür sorgen, dass auch sie sich mit der Auswanderung nicht so leicht um ihre Steuerschuld drücken können.
Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von Tom Schaffer, Chefredakteur von moment.at, der ursprünglich auf moment.at erschienen ist (zum Originalartikel geht es hier). moment.at ist das Online-Magazin des Momentum Instituts. Es ist ein progressives Medium und berichtet nach journalistischen Qualitätsstandards über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
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