Steuern nur bei Versäumnis: Wie der Erbfall Thiele die Schwächen des Erbschaftsteuerrechts offenbart

Im April 2025 verzeichnete der bayerische Fiskus einen historischen Anstieg bei den Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer: 3,65 Milliarden Euro – und damit fast 3,5 Milliarden Euro mehr als im Durchschnitt der Monate davor und danach.
Die wohl höchste Steuerzahlung der Geschichte – wie auch zahlreiche Medien berichten – ist auf den Erbfall Thiele (Knorr-Bremse) zurückzuführen. Unternehmer Heinz Hermann Thiele hinterließ nach seinem Tod 2021 ein Vermögen von rund 15 Milliarden Euro. Nach dem Wunsch Thieles sollte das Vermögen an seine zweite Ehefrau Nadja und seine Tochter Julia Thiele übergehen.

Die außergewöhnlich hohe Steuerzahlung kam wohl nur deshalb zustande, weil der Patriarch bei der Nachfolgeplanung zu lange zögerte und das Vermögen weder rechtzeitig auf eine Familienstiftung als „Vermögensschutzvehikel“ übertrug, noch die Stiftung im Testament direkt als Vermächtnisnehmerin eingesetzt hatte.  Ein möglicher Grund dafür waren familiäre Auseinandersetzungen um das Erbe, die bereits zu Lebzeiten entbrannt waren.

Steuerprivilegien für Unternehmensvermögen

Wer Betriebe oder größere Anteile an Kapitalgesellschaften erbt oder geschenkt bekommt, kann umfangreiche Steuerbefreiungen in Anspruch nehmen. Diese Privilegien gelten nicht nur für Unternehmensnachfolger kleiner oder mittelständischer Betriebe, sondern grundsätzlich auch für Erben von Milliardenkonzernen – wie im Fall der Familie Thiele.

Mit seinem Tod vererbte Thiele rund 59 % der Anteile an der Knorr-Bremse AG und weitere 50 % an der Vossloh AG. Da diese Beteiligungen jeweils über der Schwelle von 25 % liegen, gelten sie als sogenanntes “begünstigungsfähiges Vermögen” im Sinne des Erbschaftsteuergesetzes. Damit kann man unter bestimmten Bedingungen vollständig von der Steuer befreit werden.

Allerdings gibt es eine Grenze für Steuerbefreiungen von Unternehmensvermögen: Liegt der Wert des geerbten Vermögens über 26 Millionen Euro, gilt diese pauschale Befreiungsmöglichkeit nicht mehr. In diesem Fall müssen die Erbenden dem Finanzamt ihre privaten Vermögensverhältnisse offenlegen und nachweisen, dass sie außer den begünstigten Unternehmensanteilen kein weiteres Vermögen besitzen, mit dem sie die Steuer bezahlen könnten. Gelingt dieser Nachweis, kann die Steuer auf Antrag vollständig erlassen werden. Das ist die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG).

Diese Regelung eröffnet erhebliche Spielräume zur Steuergestaltung: So kann verfügbares Privatvermögen, das eigentlich zur Steuerzahlung genutzt werden kann, im Vorfeld in „begünstigtes“ Vermögen umgewandelt werden. Unternehmensanteile lassen sich zudem an Erben übertragen, die kein eigenes Vermögen besitzen, also vor allem Kindern. Begünstigungsfähiges Unterhemensvermögen ist da unschädlich. Im Extremfall: selbst wenn ein Kind schon milliardenschwere Unternehmensbeteiligungen besitzt, gibt es weitere Milliarden steuerfrei, wenn die Unternehmensnachfolgeprivilegien genutzt werden. 

Oder aber zunehmend beliebter bei der Vermögensweitergabe: Die Übertragung kann über eine privatnützige Familienstiftung erfolgen. In diesem Fall erhalten die Erbenden das Vermögen nicht direkt, sondern werden als Begünstigte der Stiftung (Destinatäre) eingesetzt. Sie halten das Vermögen nicht unmittelbar, profitieren aber dennoch über Ausschüttungen von den Unternehmensgewinnen.

Der Vorteil bei der Erbschaftsteuer: Nicht die Erben, sondern die Stiftung selbst gilt als steuerpflichtig – und kann bei entsprechender Gestaltung formal als „bedürftig“ erscheinen. Damit ein Antrag auf Steuererlass Erfolg hat, wird darauf geachtet, kein weiteres – nicht begünstigtes – Vermögen wie Bargeld oder Immobilien in die Stiftung einzubringen. Die Gründungen von Familienstiftungen steigen in Deutschland deutlich an. Unsere aktuelle Sonderauswertung der Fälle der Verschonungsbedarfsprüfung zeigt: Stiftungen, die einen Steuererlass beantragen, zahlen nahezu keine Steuern.

Der Fall Thiele 

Beim Vermögen der Familie Thiele gab es aus Sicht der Steueroptimierung eine Herausforderung: Mehrere Milliarden Euro des Vermögens bestanden aus sogenanntem „schädlichen Vermögen“ – darunter kleinere Aktienpakete (z. B. Lufthansa), nicht betrieblich genutzte Immobilien, Wertpapierdepots sowie liquide Mittel, etwa aus Börsengewinnen. Solches  Vermögen kann in der Regel nicht von der Erbschaftsteuer befreit werden und schmälert im Fall einer Verschonungsbedarfsprüfung die „Bedürftigkeit“ – denn es muss (zumindest zu 50 Prozent) zur Steuerzahlung herangezogen werden.

Laut Testament wurde Thieles Ehefrau als Vorerbin des Nachlasses eingesetzt. Als solche kann sie formal selbst einen Antrag auf Steuererlass für den begünstigten Teil des Vermögens stellen – möglicherweise ist ein solcher Antrag auch erfolgt. Doch angesichts des erheblichen Anteils nicht begünstigter Vermögenswerte – insbesondere Wertpapiere – wäre der damit erzielbare Erlass im Vergleich zu einer Antragstellung bei der Stiftung wohl begrenzt gewesen oder sogar ganz ins Leere gelaufen. 

Eine vorausschauende Gestaltung – etwa die rechtzeitige Errichtung einer Familienstiftung und die getrennte Übertragung der begünstigten Unternehmensbeteiligungen an Knorr-Bremse und Vossloh – hätte die Steuer nicht vollständig vermieden. Auf das nicht begünstigte Vermögen wäre weiterhin regulär Erbschaftsteuer angefallen, aber die Steuerersparnis hätte wohl im Milliardenbereich gelegen.

Der Fall Thiele macht deutlich: Nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmt im deutschen Erbschaftsteuerrecht den Steuerbeitrag, sondern die Sorgfalt bei der Gestaltung. In gut geplanten Fällen lässt sich ein großer Teil des Vermögens steuerfrei übertragen. Allein im Jahr 2023 ist in 26 Fällen ein Steuererlass ergangen, dabei wurden rund 6 Milliarden Euro übertragen und es fielen nur 0,1 Prozent Steuern an.

Normalsterbliche, etwa bei Erbschaften von entfernten Verwandten oder Nicht-Verwandten, aber auch die „armen Reichen“ mit Vermögen zwischen zwei und zwanzig Millionen Euro, geraten dagegen leicht in die Erbschaftsteuer. Denn sie planen oft nicht vorausschauend – oder verfügen schlicht nicht über die geeigneten Vermögensstrukturen und Gestaltungsmöglichkeiten. So wurden in den vergangenen Jahren auf Erbschaften und Schenkungen unterhalb von 20 Millionen Euro im Durchschnitt rund 9 % Steuern fällig. Finanzbeamte und Steuerberater sprechen daher gern von der „Dummensteuer“ – weil sie vor allem gezahlt wird von jenen, die nicht gestalten (können).

Aktuell prüft das Bundesverfassungsgericht die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer zum wiederholten Male. Eine Entscheidung hat das Gericht noch für dieses Jahr angekündigt. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Richter gilt aber, dass die Steuerprivilegien für Großerbschaften mit Blick auf die große Vermögensungleichheit in Deutschland sowie die hohen Kosten der Subvention eine Änderung der bestehenden Regelungen politisch dringend geboten ist. Im Ergebnis muss die Erbschafts- und Schenkungsteuer effektiv progressiv sein. Damit dies erreicht wird, müssen die komplexen und gestaltungsanfälligen Regelungen zur Verschonung durch langfristige Stundungsregelungen ersetzt werden. Das wäre ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit und -vereinfachung.

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