Mythencheck zu einer gerechten Erbschaftsteuer

Die Erbschaftsteuer könnte ein wirksames Mittel sein, um der sehr hohen Vermögensungleichheit in Deutschland entgegenzuwirken – doch in ihrer jetzigen Form ist sie ineffizient und ungerecht. Ausgerechnet die größten Vermögen profitieren von weitreichenden Ausnahmen und Schlupflöchern. Dennoch gelingt es der Milliardärslobby immer wieder, die öffentliche Debatte von einer fairen Besteuerung abzulenken – hin zu Schreckensszenarien, in denen angeblich normale Haushalte oder ärmere Menschen von einer höheren Besteuerung von Milliardären betroffen wären. Dieser Beitrag stellt zentrale Fakten zur Erbschaft- und Schenkungsteuer zusammen und entkräftet gängige Mythen.

Mythos 1: Vermögen und Erbschaften in Deutschland sind gerecht verteilt

Deutschland zählt zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit unter den westlichen Demokratien. Das reichste Prozent besitzt über 35 Prozent des gesamten Nettovermögens, während der ärmeren Hälfte lediglich 2 Prozent des Wohlstands gehört. Und selbst wenn man ihre Rentenansprüche mit einrechnet, die weder vererbbar noch frei verfügbar sind, steigt ihr Anteil nur auf etwa 9 Prozent.

Diese Ungleichheit wird durch Erbschaften und Schenkungen über Generationen festgeschrieben: Die reichsten 10 Prozent erhalten die Hälfte des gesamten Erbvermögens, die ärmere Hälfte geht leer aus. Deutschland entwickelt sich zunehmend von einer Leistungs- zu einer Erbengesellschaft: Heute beruht mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens in Deutschland auf Erbvermögen; in den 1970er Jahren lag der Anteil noch bei rund 20 Prozent. Egal wie fleißig oder gebildet jemand ist, wer nicht erbt, hat kaum die Chance, jenes Niveau an Eigentum oder Sicherheit zu erreichen, das wenigen durch Geburt zufällt.

Übrigens: Besonders auffällig in Deutschland – in kaum einem anderen Land erfolgt die Weitergabe milliardenschwerer Vermögen so stark dynastisch. Laut Daten der Großbank UBS haben nur 28 Prozent der deutschen Milliardäre ihr Vermögen selbst erwirtschaftet.

Mythos 2: Die Diskussion um die Erbschaftsteuer ist eine reine Neiddebatte

Statt über faire Chancen und Leistungsgerechtigkeit zu diskutieren, dient der Vorwurf einer „Neiddebatte“ als rhetorisches Schutzschild für Vermögende und ihre Lobbyorganisationen – also jene, die Besitzstände sichern wollen. Der Begriff dient dazu, die Debatte über strukturelle Ungleichheit auf vermeintlich missgünstige Motive „Neidischer“ zu verschieben – und hat in Deutschland eine lange Tradition als politischer Kampfbegriff. Dabei wünschen sich die meisten Menschen aus guten Gründen, dass Chancen nicht vom Geburtsglück abhängen, Vermögenskonzentration begrenzt wird und Leistung zählt. Neid dürfte in den seltensten Fällen die treibende Kraft sein.

Mythos 3: Die Erbschaftsteuer ist eine Doppelbesteuerung

Das Argument der „doppelten Besteuerung“ mag für einige auf den ersten Blick plausibel klingen – hält einer genaueren Betrachtung aber nicht stand. Denn besteuert wird nicht noch einmal das Einkommen oder Vermögen der Verstorbenen, sondern der Vermögenszuwachs bei den Erben. Weil dabei nicht die normale Einkommensteuer anfallen soll, gibt es als Ersatz die Erbschaftsteuer.

Im Alltag ist Mehrfachbesteuerung völlig normal: Auf den Lohn wird erst Einkommensteuer gezahlt, dann beim Einkaufen noch Umsatzsteuer. Wer von seinem Gehalt einen Handwerker bezahlt, zahlt dabei noch einmal Steuer. Eine wirkliche Doppelbesteuerung liegt nur vor, wenn derselbe Vorgang oder Gegenstand doppelt besteuert wird, also z. B., wenn ein geerbtes Grundstück im Ausland und gleichzeitig in Deutschland besteuert wird ohne eine Verrechnung der Steuer.

Übrigens gilt bei Unternehmensvermögen oft sogar das Gegenteil: Zwar wurden die laufenden Gewinne versteuert, die teils erheblichen Wertsteigerungen der Unternehmensanteile blieben jedoch in der Regel steuerfrei und würden nur beim Verkauf des Unternehmens besteuert. Wechselt das Unternehmen hingegen durch Erbschaft den Eigentümer, würde der Vermögenszuwachs, wenn überhaupt, nur durch die Erbschaftsteuer erfasst – sofern das Erbermögen nicht durch Ausnahmen befreit ist.

Mythos 4: Auf große Vermögen fallen bereits hohe Steuern an

Auf dem Papier ist die Erbschaftsteuer progressiv: Oberhalb der persönlichen Freibeträge steigen die Steuersätze – je nach Verwandtschaftsgrad – von 7 bis auf 50 Prozent, bei Vermögen ab 26 Millionen Euro. In der Praxis fällt aber nur ein Bruchteil davon an. Zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher, insbesondere für Unternehmensanteile, sorgen dafür, dass große Erbvermögen oft kaum oder gar nicht besteuert werden.

So lag der tatsächliche Steuersatz auf Multimillionen- und Milliardenvermögen zwischen 2021 und 2024im Schnitt bei nur 1,8 Prozent – im Jahr 2023 sogar bei lediglich 0,1 Prozent. Wer hingegen weniger als 20 Millionen Euro erbt, zahlte mehr als das Dreifache.

Die Erbschaftsteuer wirkt also faktisch regressiv, denn es gilt faktisch: Je größer das Vermögen, desto kleiner der Steuersatz. Dabei könnte eine wirklich effiziente und progressive Steuer helfen, die sehr hohe Vermögenskonzentrationen zumindest zu begrenzen.

Mythos 5: Erben zahlen bereits reichlich Steuern in Deutschland

Angesichts der enormen Erbvermögen in Deutschland von jährlich rund 300 bis 400 Milliarden Euro und der starken Vermögenskonzentration fristet die Erbschaftsteuer hierzulande ein Schattendasein. 2024 nahm der Staat daraus lediglich knapp 10 Milliarden Euro ein und damit nur 1 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Effektiv wurden Erbschaften und Schenkungen im Schnitt mit gerade einmal 2 bis 3 Prozent besteuert. Zum Vergleich: Auf ein mittleres Arbeitseinkommen fallen im Schnitt 18 Prozent Einkommensteuern an (zzgl. Sozialbeiträge). Selbst die Tabaksteuer brachte im selben Jahr fast 15 Milliarden Euro ein, die Lohnsteuer rund 240 Milliarden Euro.

Mythos 6: Die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sind nur Peanuts

Die Privilegien bei der Erbschaftsteuer für Firmenerben sind laut Subventionsbericht die größte Steuersubvention in Deutschland. Die Bundesregierung schätzt die Kosten auf rund 9 Milliarden Euro jährlich. Würden die Ausnahmen gestrichen, könnten sich die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer somit nahezu verdoppeln.

Obwohl es die größte Steuersubvention ist, kommt sie nur wenigen zugute: Der Großteil landet jedes Jahr bei wenigen hundert Überreichen – überwiegend männlich und in Westdeutschland lebend. Allein zwischen 2009 und 2020 erhielten 3.630 Großerben steuerfreies Vermögen von 260 Milliarden Euro – im Schnitt 70 Millionen pro Person. Damit bekamen allein diese wenigen Personen rund 64 Prozent des gesamten begünstigten Erbvermögens.

Mythos 7: Die Erbschaftsteuer wurde längst fair reformiert

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die großzügigen Ausnahmen für überreiche Erben in der Vergangenheit wiederholt für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber passte deshalb die Regelungen mehrmals an, zuletzt 2016. Doch infolge wirksamer Lobbyarbeit blieben zentrale Privilegien weitgehend bestehen – ebenso wie zahlreiche Schlupflöcher, insbesondere im Zusammenhang mit der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung (siehe unter 8). Deshalb gibt es große Zweifel daran, dass die aktuellen Regelungen mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sind. Zurzeit prüft das Bundesverfassungsgericht das Gesetz – eine Entscheidung dazu ist noch für dieses Jahr angekündigt. Unabhängig von der Entscheidung des Gerichts, ob die Grenze der Verfassungswidrigkeit überschritten ist, ist eine Reform aus politischen Gründen dringend geboten.

Mythos 8: Die Verschonungsbedarfsprüfung schützt nur echte Härtefälle

In seinem Urteil von 2014 kritisierte das Bundesverfassungsgericht, dass Erben großer Unternehmensvermögen teils ohne wirtschaftliche Notwendigkeit von der Steuer befreit werden. Daraufhin wurde das Gesetz reformiert und eine Obergrenze eingeführt: Für Unternehmensvermögen über 26 Millionen Euro gelten seither nicht mehr die regulären Steuervergünstigungen. Gleichzeitig wurde aber ein neues Privileg geschaffen: die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung. Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich die Möglichkeit, einen Steuererlass zu beantragen. Wer mehr als 26 Millionen Euro erhält, kann einen Steuererlass beantragen, wenn er „bedürftig“ ist. Bedürftig nach dem Gesetz ist, wer kein weiteres Vermögen außer dem sog. begünstigten Firmenvermögen besitzt, um die Steuer zu zahlen. Geprüft wird dabei nur das Vermögen zum Zeitpunkt der Übertragung. Ob das Unternehmen später hohe Gewinne oder Dividenden abwirft, bleibt außen vor.

Die Erben können sich dabei arm rechnen: Vermögen, das eigentlich zur Steuerzahlung herangezogen werden müsste, lässt sich in geschütztes Schonvermögen umschichten. Oder das Erbe wird in eine vermögenslose Familienstiftung verschoben: Die Erben erhalten dann weiterhin die Gewinne, müssen dem Finanzamt aber nur das Vermögen der „armen“ Stiftung offenlegen, nicht ihre eigenen Vermögensverhältnisse. Von dem Steuererlass wird umfangreich Gebrauch gemacht: Seit 2021 erhielten 105 Erben und vor allem reich beschenkte Steuererlasse von insgesamt rund 7,5 Milliarden Euro – die wenigen Begünstigten bekamen zusammen ein Vermögen von rund 26 Milliarden Euro. Ein medial bekannt gewordener Fall, wie sich Milliardäre „bedürftig rechnen“ können, ist der des Axel-Springer-Vorstandschefs Matthias Döpfner.

Mythos 9: Die Erbschaftsteuer geht an die Substanz der Unternehmen

Eine wirksame Erbschaftsteuer kann einen Beitrag zur Reduzierung der Vermögensungleichheit leisten – mit ausreichend hohen, progressiven Sätzen und einem insgesamt deutlich höheren Beitrag zum Steueraufkommen. Konkret heißt das: Große Vermögen müssen höher besteuert werden als kleinere. Dafür müssen die Steuerprivilegien für überreiche Unternehmens­erben weitgehend entfallen.

Wird die Erbschaftsteuer klug gestaltet, belastet sie die Betriebe nicht. Die Steuerschuld kann bei Bedarf über längere Zeit gestreckt und so aus laufenden Gewinnen beglichen werden. Die Höhe der Erbschaftsteuer wird im Übrigen ohnehin danach bemessen, wie viele Gewinne künftig aus dem Unternehmen zu erwarten sind. Erben können dabei auch eigene Gutachten vorlegen, die erklären, warum dieser Gewinn geringer sein wird, als das Finanzamt schätzt. Alternativ ließe sich die Steuer durch Übertragung eines Teils der Unternehmensanteile an eine staatliche Holding begleichen. Für den Betrieb änderte sich nichts – lediglich ein Teil der künftigen Gewinne und Wertzuwächse ginge an den Staat statt an die Erben.

Zum Vergleich: Unternehmensgründer müssen Investitionen oft über Kredite finanzieren und diese über Jahre tilgen. Ergänzend kann eine (auch befristete) Umwandlung der Steuerschuld in öffentliche Unternehmensbeteiligungen helfen, unfreiwillige Verkäufe zu vermeiden (ausführlich hier).

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Mythos 10: Von Steuererleichterungen profitieren vor allem kleine Familienbetriebe

Tatsächlich profitieren vor allem superreiche westdeutsche Familiendynastien und dabei überwiegend Männer. Eine Auswertung der Steuerstatistik zeigt, dass wenige Hundert Erben und Beschenkte fast zwei Drittel des gesamten steuerlich begünstigten Unternehmensvermögens in Deutschland erhalten. Weniger als 2 Prozent des steuerbefreiten Vermögens erhalten Menschen in Ostdeutschland. Und die Steuererlasse im Rahmen der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung für Erben von besonders großen Vermögen über 26 Millionen Euro haben bisher ausschließlich Menschen im Westen erhalten.

Befürworter dieser Privilegien verweisen zudem gerne auf die Verantwortung der Erben für die Arbeitsplätze. Tatsächlich erben jedoch überwiegend Personen Unternehmensvermögen, die nicht aktiv im Betrieb tätig sind und als reine Anteilseigner*innen keine unternehmerische Verantwortung tragen. So erhielten in den vergangenen Jahren etwa 40 Kinder unter 14 Jahren zusammen rund 33 Milliarden Euro steuerbefreites Unternehmensvermögen. Das entspricht im Schnitt 825 Millionen Euro pro Kind.

Mythos 11: Eine höhere Erbschaftsteuer vernichtet Arbeitsplätze und schadet der Wirtschaft

Diese Drohung nutzt die Unternehmenslobby besonders oft, um ihre Interessen durchzusetzen – einen Beleg bleibt sie jedoch schuldig. Im Gegenteil warnen etwa der Wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums und die OECD: Die Privilegien für Unternehmensvermögen können dem Wirtschaftsstandort langfristig schaden und Arbeitsplätze kosten. Denn sie subventionieren Erben unabhängig davon, ob diese wirklich unternehmerisch tätig sind und, falls ja, ob sie überhaupt für die Leitung großer Unternehmen geeignet sind. Das behindert Innovation, bremst den Strukturwandel und schützt ineffiziente Strukturen. Studien aus mehreren Ländern (DänemarkUSA, Frankreich, Deutschland und UK) zeigen: Unternehmen unter Erbenführung performen deutlich schlechter, sind häufiger insolvent und investieren weniger als Betriebe, die von externen Managerinnen und Managern geführt werden.

Eine gerechte Erbschaftsteuer würde leistungsfähige Unternehmen nicht gefährden, sondern die Chancengerechtigkeit stärken, echtes Unternehmertum fördern und die wirtschaftliche Dynamik beleben. Und die ist in Deutschland kaum mehr gegeben: Nach aktuellen Daten der Großbank UBS haben nur 28 Prozent der deutschen Milliardäre ihr Vermögen selbst erwirtschaftet – die niedrigste Quote weltweit nach Dänemark.

Hinzu kommt: Das Vermögen von Überreichen in Deutschland wird zu großen Teilen weder konsumiert noch produktiv investiert. Es fließt häufig ins Ausland oder wird im Unternehmen oder in Finanzanlagen gespart, ohne realwirtschaftlichen Nutzen. Eine stärkere Besteuerung könnte dagegen öffentliche Investitionen und konsumwirksame Ausgaben finanzieren – von Renten über Infrastruktur bis zu Löhnen. Anders als oft behauptet, stärken die Staatsausgaben nämlich Wirtschaftswachstum stärker als Steuersenkungen.

Zudem wird oft übersehen: Erbschaften schaden dem Arbeitsangebot, weil Erbende weniger arbeiten. Eine Schweizer Studie mit 135.000 Erbschaften und 5.000 Lottogewinnen zeigt, dass vor allem 55- bis 64-Jährige nach Vermögenszuflüssen früher in Rente gehen – das BIP sinkt um rund 1,7 %. Eine frühere Untersuchung für Deutschland zeigt: Jeder Euro Erbschaftsteuer erhöht das Arbeitsangebot und die Einkommensteuereinnahmen um etwa neun Cent.

Mythos 12: Bäckermeister und Handwerksbetriebe wären die Leidtragenden von höheren Steuern

Der Mittelstand, also kleine und mittelständische Familienunternehmen, Handwerks- und landwirtschaftliche Betriebe im Familienbesitz werden regelmäßig durch Lobbygruppen wie Die Familienunternehmer und die Stiftung Familienunternehmen bemüht, um von überreichen Erben abzulenken, die am meisten von der Verschonung profitieren. In den vergangenen elf Jahren landeten 64 Prozent des begünstigten Vermögens bei nur 3.630 Personen, die im Schnitt 70 Millionen Euro erhielten – also nicht die Bäckermeister oder Landwirte von nebenan.

Tatsächlich geht es der Lobby offensichtlich vor allem darum, den persönlichen Reichtum von Familiendynastien zu schützen: Die Quandts, Aldi-Albrechts und Henkels profitieren am stärksten. Denn auch Unternehmensanteile und Aktienpakete im Wert von vielen Millionen und Milliarden gelten als Betriebsvermögen und werden begünstigt. Kleinstunternehmen und echte Härtefälle könnten weiterhin geschützt werden – und zwar über angemessene Freibeträge und klar begrenzte Ausnahmen.

Mythos 13: Das Vermögen steckt in Betrieben und Maschinen – da gibt es nichts zu holen

Firmenerben können sich die Erbschaftsteuer nicht leisten, ohne an die „Vermögenssubstanz“ zu gehen – also das Unternehmen zu verkleinern und Investitionen einzustellen. Das gefährde Wohlstand und Arbeitsplätze. So argumentiert die Unternehmenslobby. Allerdings muss nicht das Unternehmen die Steuer zahlen, sondern die Erben – und die verfügen in der Regel über weiteres Privatvermögen oder erhalten es mit der Erbschaft. Damit können sie die Steuer begleichen. Bei einer Reform würden zudem die Ausnahmen für Unternehmenserben nicht einfach gestrichen.

Anstatt Firmenerben vollständig von der Steuer zu befreien, sollte den Erben die Möglichkeit eingeräumt werden, die Steuern über viele Jahre hinweg aus den ausgeschütteten Unternehmensgewinnen zu zahlen. Da sich die Höhe der Erbschaftsteuer nach dem Unternehmenswert bemisst und dieser sich wiederum aus den erwarteten Unternehmensgewinnen ergibt, ist es unwahrscheinlich, dass eine angemessene Erbschaftsteuer die Vermögenssubstanz verringern würde. Alternativ kann auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Steuer in Form von Anteilen oder Aktien beglichen wird (siehe Mythos 9). Auch dies hat auf die Firma und deren Vermögenssubstanz keine Auswirkung.

Mythos 14: Die Erbschaftsteuer treibt Familienunternehmen in die Hände von ausländischen Investoren

Oft wird behauptet, Familienunternehmen müssten wegen der Erbschaftsteuer Finanzinvestoren ins Haus holen oder das Unternehmen ins Ausland verkaufen. Doch Erben können die Steuer bei Bedarf über einen längeren Zeitraum aus künftigen Unternehmensgewinnen zahlen oder – wie Nicht-Erben bei einer Neugründung – Kredite aufnehmen. Außerdem ließe sich gesetzlich regeln, dass Erben dem Staat vorübergehend Unternehmensanteile als stiller Teilhaber übertragen können, solange die Erbschaftsteuer noch nicht vollständig beglichen ist. So bleibt das Unternehmen in jedem Fall im Familienbesitz – ein unfreiwilliger Verkauf wegen der Steuer wäre ausgeschlossen.

Übrigens: Bislang gibt es kein Beispiel für den Einstieg eines Finanzinvestors aufgrund der Erbschaftsteuer – auch nicht vor 2009, als die Ausnahmen für Unternehmensvermögen geringer und die Steuern höher waren. Im Gegenteil: Der Erbfall der Familie Thiele zeigt beispielhaft, dass es kein Problem sein muss, wenn die Steuerausnahmen – bei Thiele aufgrund fehlender Planung – nicht greifen. Die Familie konnte die anfallende Erbschaftsteuer in Höhe von 3,5 Milliarden Euro begleichen – sogar ohne Stundung. Unternehmensanteile mussten nicht verkauft werden.

Mythos 15: Die Erbschaftsteuer trifft Omas Häuschen

Der Begriff „Omas Häuschen“ wird häufig vorgeschoben, um Reformen zu verhindern, die eigentlich auf große Betriebsvermögen, Kapitalerträge und Millionenvermögen zielen. Er ist emotional wirksam – aber sachlich irreführend.

Denn Immobilien werden in der Regel nicht von der Großmutter an die Enkel vererbt, sondern zunächst von den Eltern an die Kinder. Und hier gilt: Wer das Elternhaus nach dem Tod selbst nutzt, kann es vollständig steuerfrei erben. Sind die Eltern bereits verstorben, gelten für die Enkel die gleichen Regeln wie für Kinder. Hinzu kommen umfangreiche Freibeträge: 500.000 Euro für Ehegatten, 400.000 Euro pro Kind und 200.000 Euro pro Enkelkind – jeweils pro Erblasser*in und alle zehn Jahre erneut. In einer Familie mit zwei Elternteilen und zwei Kindern lassen sich so alle zehn Jahre 1,6 Millionen Euro steuerfrei übertragen und innerhalb einer Generation von 30 Jahren insgesamt bis zu 5,4 Millionen Euro. Besteuert wird dabei nur das Vermögen oberhalb dieser Freibeträge – bei nahen Verwandten ab 7 Prozent und bei Vermögen ab 13 Millionen Euro unter Nichtverwandten bis zu 50 Prozent. Deutschland gewährt seinen Erben damit im internationalen Vergleich mit die höchsten Freibeträge.

Übrigens: Werden Steuervergünstigungen für Unternehmensvermögen gestrichen, wirkt sich das keineswegs auf Omas Häuschen aus. Ganz im Gegenteil: Mit einem Teil der Mehreinnahmen könnten sogar persönliche Freibeträge etwas angehoben werden.

Mythos 16: Bei höheren Erbschaftsteuern fliehen Vermögende ins Ausland

Wer in Deutschland lebt oder deutsches Vermögen erbt, muss grundsätzlich im Erbfall Steuern zahlen – auch noch bis zu fünf Jahre nach dem Wegzug. Dass sowohl Erblasser als auch Erben nur wegen der Steuer dauerhaft ins Ausland ziehen, ist sehr unwahrscheinlich. Studien zeigen: Erbschaftsteuern haben kaum Einfluss auf die Wohnsitzentscheidungen. Und selbst wenn – Vermögen in Deutschland, etwa Immobilien oder Unternehmensanteile, bleiben auch beim Wegzug steuerpflichtig, wenn sie verschenkt oder vererbt werden.

Unternehmensanteile lassen sich nicht einfach steuerfrei ins Ausland mitnehmen. Beim Wegzug fällt eine sogenannte Wegzugsbesteuerung an – bei großen Anteilen können so Milliardenbeträge fällig werden. Auch ganze Unternehmen müssen bei einer Verlagerung oft hohe Steuern zahlen. Eine Flucht vor der Erbschaftsteuer lohnt sich also nicht. Zudem erschweren neue internationale Transparenzregeln wie der automatische Informationsaustausch von Bankkontendaten das Verstecken von Vermögen erheblich.

Mythos 17: Die Bewertung von Vermögen ist aufwändig und verursacht zu hohe Kosten

Oft wird behauptet, Vermögens- und Erbschaftsteuern lohnen sich nicht, weil die Bewertung so aufwändig sei, dass sie mehr koste, als sie einbringt. Die wenigen Untersuchungen, die es zum tatsächlichen Aufwand gibt, zeigen jedoch ein anderes Bild: In Schleswig-Holstein lag der Erhebungsaufwand der Erbschaftsteuer im Jahr 2006 bei gerade einmal rund 2 Prozent des Aufkommens – und war damit nicht höher als bei der Einkommensteuer. Insbesondere bei sehr großen Unternehmensvermögen ist der Aufwand überschaubar, da diese möglicherweise börsennotiert sind und die Betriebsprüfung ohnehin fast ganzjährig vor Ort ist und dem Finanzamt alle relevanten Unterlagen vorliegen.

Unter Ökonomen ist die Erbschaftsteuern sogar besonders beliebt: Weil sie im Wesentlichen nur einmal im Leben anfallen und viele nötige Schritte – wie die Erfassung des Vermögens und die Überschreibung an die Erben – ohnehin schon bei der Testamentsvollstreckung erledigt werden.

Ineffizient ist die Erbschaftsteuer derzeit allerdings bei sehr großen Vermögen wegen der Ausnahmen für Unternehmen: Sie werden zwar umfangreich bewertet, am Ende aber wegen großzügiger Ausnahmen kaum oder gar nicht besteuert.

Mythos 18: Die Privilegien für Großerben sind in anderen Ländern genauso groß

Viele Länder gewähren bei der Erbschaftsteuer gewisse Vorzüge für Unternehmensvermögen – etwa in Form von Bewertungsabschlägen oder Steuerstundungen. Doch so weitreichende Steuerbefreiungen für Überreiche wie in Deutschland sind international kaum zu finden. Länder wie die USA, Dänemark, Südkorea oder Japan zeigen, dass selbst deutlich höhere Steuern auf geerbte Unternehmensvermögen keine negativen Folgen für die Wirtschaft haben.

Übrigens: Im internationalen Vergleich muss die Erbschaftsteuer stets im Gesamtbild der Besteuerung von Eigentum betrachtet werden. Letztere tragen in Deutschland im Vergleich mit anderen OECD-Ländern besonders wenig zum Steueraufkommen bei (OECD Revenue Statistics). Gleichzeitig sind die Abgaben auf Arbeitseinkommen hierzulande vergleichsweise hoch. Deshalb mahnt etwa der aktuelle Wirtschaftsbericht der OECD, die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer zu erhöhen und mittlere Arbeitseinkommen nicht stärker zu belasten.

Mythos 19: Die Lobbyorganisationen vertreten Handwerksbetriebe und Mittelstand

Bei der letzten Erbschaftsteuerreform gehörte die Stiftung Familienunternehmen zu den lautesten Lobbyorganisationen für Steuerprivilegien. Anders als ihr Name vermuten lässt, vertritt sie nicht die Bäcker- oder Handwerksbetriebe von nebenan, sondern vor allem die größten und reichsten Familiendynastien Deutschlands. Sie vertritt rund 600 Unternehmen und damit nicht einmal 0,02 Prozent der 2,8 Millionen familiengeführten Betriebe.

Matthias Lefarth, der während der letzten Erbschaftsteuerreform Leiter der Steuerabteilung des Lobbyverbandes war, bezeichnete sein Einwirken auf die Gesetzgebung und vor allem die von ihm mitverhandelte Verschonungsbedarfsprüfung selbst als „Sternstunde der Politikberatung“. Ähnlich aktiv – und im Kampf um Steuerprivilegien für große Vermögen teils noch aggressiver – agiert der Lobbyverband Die Familienunternehmer, der ebenfalls vor allem große Unternehmen vertritt.

Mythos 20: Erben ist eine private Familienangelegenheit – da hat der Staat nichts zu suchen

Fast alle Eltern wünschen sich, ihren Kindern etwas zu hinterlassen – und das ist legitim. Die Erbschaftsteuer erkennt diesen Wunsch ausdrücklich an: Nahe Angehörige profitieren von hohen Freibeträgen, und selbstgenutzte Familienheime können vollständig steuerfrei vererbt werden (siehe Mythos 15).

Doch die ganz überwiegende Mehrheit der Familien, in denen wenig oder gar nichts vererbt wird, haben ein berechtigtes Interesse daran, dass riesige Erbvermögen nicht unbesteuert weitergereicht werden. Große Vermögen sind nie nur Familiensache – sie sind in Gesellschaften entstanden, die die Bedingungen dafür geboten haben, und sie beeinflussen die Chancen aller. Durch erhebliche Vermögen, die allein durch Geburt weitergegeben werden, entstehen strukturelle Vorteile für wenige, die andere nie erreichen können, egal wie fleißig oder talentiert sie sind.

Gleiche Chancen für alle sind aber das Kernprinzip der Demokratie. Und bereits liberale Vordenker wie John Stuart Mill forderten, Vermögenskonzentrationen zu begrenzen, um die wirtschaftliche und politische Freiheit aller zu schützen.

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Ein Kommentar

  • Die Erbschaftsteuer könnte in eine stille Beteiligung umgewandelt werden.
    Mit Beteiligung am Gewinn

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