Steuergerechtigkeitscheck September 2025: Steuern vs. Sozialstaat

Der Haushalt für 2025 ging letzte Woche zwar sehr spät, aber noch vergleichsweise geräuschlos durch den Bundestag. Auch der Haushalt für das Jahr 2026 ist auf dem Weg. Beim Haushalt für 2027 gibt es dagegen noch eine große Lücke von etwa 30 Milliarden Euro und die Regierungsfraktionen laufen sich für den Streit darum schon einmal warm. Steuern und Sozialstaat waren das Top-Thema im Sommer und entsprechend auch in der Befragung zum DeutschlandTrend für den September 2025. Zu beiden Themen finden sich in dem Bürgergutachten spannende Vorschläge. Am 8. September haben wir es an die Politik übergeben und wünschen der Politik von Herzen eine so konstruktive Debatte, wie wir sie zwischen den 40 zufällig ausgelosten Teilnehmenden in Erfurt beobachten konnten. Viel Spaß beim Reinlesen und Reinhören.
+++Steuern und Sozialstaat – Bürgergutachten übergeben+++3,4 Milliarden Euro Steuergeschenk für 45 Großerben+++Petition gestartet+++UN-Steuerkonvention startet mit großen Erwartungen und kleinen Fortschritten+++Neue Analyse zur Besteuerung von Milliardären in Brasilien – auch für Deutschland spannend+++Update Digitalkonzerne: Gewinne größer als Bundeshaushalt, Steuersatz weiter bei 3 Prozent+++Steuerprivilegien für Billigflüge kippen+++
Steuern für Gerechtigkeit
Steuern und Sozialstaat – Bürgergutachten zeigt, wie es gerechter geht
Herbst der Reformen oder Herbst der Grausamkeiten? Im Sommerloch entbrannte eine intensive Debatte darüber, wie die Haushaltslücke geschlossen werden kann. Friedrich Merz will beim Bürgergeld mindestens zehn Prozent kürzen (rund fünf Milliarden Euro), während Lars Klingbeil Steuererhöhungen für Reiche ins Gespräch bringt. Es gibt aber auch Kompromisssignale: Andreas Mattfeldt (CDU) wäre bereit, mit der SPD über höhere Steuern für Spitzenverdiener zu verhandeln, und Dennis Radtke (CDU) plädiert dafür, die Schlupflöcher bei der Erbschaftsteuer zu schließen. Auf der anderen Seite erkennt auch Bärbel Bas (SPD) nach ihrer Bullshit-Äußerung den Reformbedarf beim Sozialstaat an.
Wie Kompromisse bei Steuern für reiche Menschen und Sozialstaat aussehen könnten, zeigt unsere Bürgerdebatte gerechte Steuern und Finanzen. Zusammen mit 14 der 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie Mehr Demokratie und dem Bund der Steuerzahler haben wir am letzten Montag das Bürgergutachten dazu an die Politik überreicht.
Das komplette Gutachten steht hier zum Download bereit.
Die Empfehlungen in Kurzform finden sich hier.
45 Großerben erhalten 3,4 Milliarden Euro Steuern geschenkt
Plötzlich kommt Bewegung in die Debatte um die Erbschaftsteuer – und es zeigen sich erste Risse im konservativen Lager. Dennis Radtke von der CDU hat sich unserer Forderung angeschlossen, Schlupflöcher bei der Erbschaftsteuer zu schließen. Markus Söder dagegen will Bayern zur Steueroase machen und die Erbschaftsteuer für Bayern halbieren. Parteichef Merz widerspricht und sieht andere Prioritäten. Auch der Lobbyverband Die Familienunternehmer befürchtet bei der bayerischen Extrawurst unnötigen Bürokratieaufwand, schlägt aber gleichzeitig vor Unternehmenserben in Ostdeutschland von der Steuer zu befreien, obwohl ihr Anteil am Erbvermögen so gering ist, dass sie ohnehin kaum Erbschaftsteuern zahlen.
Passend dazu sind die neuen Daten des Statistischen Bundesamts zu Erbschaftsteuer erschienen. Unsere Auswertung zeigt: Superreiche Unternehmenserben zahlten auch 2024 kaum Erbschaftsteuer. 45 Großerben erhielten im vergangenen Jahr zusammen etwa 12 Milliarden Euro – ihr effektiver Steuersatz lag aber bei nur bei rund 1,5 Prozent. Der Staat verzichtete zu ihren Gunsten auf 3,4 Milliarden Euro.
Grund ist die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung, die seit 2016 milliardenschwere Steuererlasse für große Unternehmensvermögen erlaubt. Insgesamt summierten sich die Steuervergünstigungen für Unternehmensvermögen 2024 auf rund 7 Milliarden Euro – die größte Steuersubvention im Bundeshaushalt. Seit 2009 hat die Allgemeinheit dadurch bereits etwa 90 Milliarden Euro verloren. Gerade in Zeiten, in denen der Haushalt auf dem Prüfstand steht, sollten diese teuren und ungerechten Subventionen für Unternehmenserben endlich gestrichen werden.
Unsere ausführliche Analyse gibt es hier und unsere Einschätzung bei Spiegel Online hier.
Gerade zur richtigen Zeit haben wir unsere Petition gestartet: Machen wir die Erbschaftsteuer wieder zur Ehrensache! Unterstützen Sie unseren gemeinsamen Aufruf mit Finanzwende und der Vermögendeninitiative taxmenow – keine Ausnahmen für Milliardäre!
Weitere Nachrichten:
- Mythencheck Erbschaftsteuer: Mit Schreckensszenarien und Nebelkerzen gelingt es der Milliardärslobby immer wieder, von ihren Privilegien abzulenken. Nur 51 Prozent der Menschen befürworten höhere Steuern für große Erbschaften. In einem neuem Beitrag haben wir deswegen die zentralen Fakten zur Erbschaft- und Schenkungsteuer zusammengestellt und gängige Mythen entkräftet. Fehlen euch welche? Dann schreibt uns gern!
- Ausnahme für US-Konzerne von der Mindeststeuer noch nicht in trockenen Tüchern: Mit der G7 hatte Donald Trump im Juli für die großen US-Konzerne eine Befreiung von der Mindeststeuer ausgehandelt. Jetzt gibt es bei der OECD unerwarteten Widerstand. Bloomberg zitiert dazu ein internes Papier, das zeigt, dass 28 von 140 Ländern scharfe Kritik an den Ausnahmen geäußert haben. Für deren Umsetzung wäre aber Konsens nötig. Interessanterweise finden sich auch die G7-Staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien unter den Kritikern.
- Neues zur spanischen Vermögensteuer: Der britische Guardian argumentiert, dass Steuerflucht bei der spanischen Vermögensteuer (bis zu 3,5 Prozent) kein Problem ist. Allerdings enthält er auch spannende Informationen über die hausgemachten Lücken der Steuer: Einer Schätzung zufolge werden 80 Prozent der Topvermögen deswegen nicht besteuert.
Internationale Steuergerechtigkeit

UN-Verhandlungen zu globaler Steuergerechtigkeit gestartet: Große Erwartungen, sehr kleine Fortschritte
Am 4. August startete in New York die erste Verhandlungsrunde zu den Inhalten der für 2027 geplanten Steuerrahmenkonvention der UN. Die Verhandlung begann mit einem kleinen Aufreger: Ein Mitgliedsstaat hatte anonym beantragt, das Netzwerk Steuergerechtigkeit und ein paar andere NGOs von den Verhandlungen auszuschließen, sich dann aber in den öffentlichen Verhandlungen nicht gegen den Antrag aus Deutschland ausgesprochen, alle Organisationen zuzulassen. Deswegen konnten wir die erste Verhandlungsrunde mit einer ganzen Reihe anderer NGO-Vertreter live vor Ort verfolgen. Die Erwartungen waren hoch, die Fortschritte noch sehr klein.
Statt einer breiten Allianz für eine gerechte Besteuerung der Digitalkonzerne und gegen die willkürlichen Strafen der USA gegen solche Maßnahmen gab es noch ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine gerechte und einfache Unternehmensbesteuerung aussehen könnte – von einer Quellensteuer auf ausgehende Zahlungen bis zur formelhaften Aufteilung der globalen Gewinne. Die chilenische Leiterin der Arbeitsgruppe zu den Digitalkonzernen muss noch ohne den üblichen Co-Chair aus dem Globalen Norden weitermachen. Und anscheinend gab es aus den Debatten um die organisatorischen Details der Verhandlung auch noch einige Verstimmung zwischen den Ländern des Globalen Südens, die offene Verhandlungen mit ihrer Mehrheit erzwungen haben und den Ländern im Globalen Norden, die auf den üblichen Konsens bestehen wollten und damit den Erfolg von vornherein in Frage gestellt hätten.
Statt einer politischen Debatte über die großen Linien ging es die meiste Zeit um technische Details, allerdings ohne die entsprechenden Unterlagen, um darüber systematisch und qualifiziert debattieren zu können. Die meisten Debatten waren scheinbar schon vorher in den sogenannten “Inter-Sessionals” gelaufen, bei denen die Zivilgesellschaft bisher nicht teilnehmen darf. Die nächste von insgesamt sechs Verhandlungsrunden folgt im November in Nairobi (Kenia). Dann soll über erste Textentwürfe geredet werden. In der Zwischenzeit verhandeln die Vertreter aus der ganzen Welt – einschließlich Russland – hinter den Kulissen weiter intensiv über globale Steuergerechtigkeit. Allein das ist in Zeiten wie diesen schon eine sehr gute Nachricht.

Update zum Gerechtigkeitsindikator: Wenn es so weitergeht wie bisher, werden die Gewinne der großen 5 US-Konzerne 2025 das dritte Jahr in Folge um 100 Milliarden US-Dollar auf dann 600 Milliarden wachsen – also den Bundeshaushalt hinter sich lassen. Die Steuerquote bleibt weltweit bei etwa 15 Prozent, auf die deutschen Gewinne zahlen sie weiterhin nur 3 Prozent.
Brasilianische Milliardäre zahlen weniger als die Hälfte, auch Deutschland wahrscheinlich noch viel ungleicher
Das EU Tax Observatory hat die erste Analyse zu effektiven Steuersätzen in einem großen Land des Globalen Südens vorgelegt. Brasilien hat damit offiziell das ungerechteste Steuersystem der bisher verglichenen Staaten: Reiche zahlen dort im Schnitt (inkl. Unternehmensteuer) nur 20,6 Prozent, Normalverdiener dagegen 42,5 Prozent. Für Deutschland gibt es leider noch keine vergleichbaren Zahlen.
Aus deutscher Sicht spannend ist aber ein anderer Befund: Die Einkommensverteilung in Brasilien ist noch einmal deutlich ungleicher als in den bisherigen Schätzungen der World Inequality Database vermutet. Statt 21,7 Prozent gehen 27,4 Prozent der Einkommen an das reichste Prozent. Grundlage für die Korrektur sind Daten zur tatsächlichen Verteilung der von den Unternehmen einbehaltenen Gewinne. Die sind nochmal deutlich ungleicher verteilt als andere Kapitalerträge, die bei der bisherigen Methode (Distributional National Accounts) als Grundlage für die Verteilung dienen. In Deutschland dürften die noch sehr viel größer sein, weil sie in Deutschland anders als in Brasilien seit 25 Jahren steuerlich sehr stark privilegiert sind. Die Datengrundlage, um diese einbehaltenen Gewinne zu analysieren, ist in Deutschland vergleichsweise gut – bisher hat das aber keiner gemacht.
Übrigens: Das brasilianische Finanzministerium hat schon einen Vorschlag, der viele Menschen mit niedrigem Einkommen ganz von der Einkommensteuer befreien würde und bewirbt diesen jetzt mit einer kreativen Kampagne – inkl. Influencer-Geschichten und Katzenvideo (auf Portugiesisch).
Steuern für Gesundheit und Umwelt
Klimafreundliche Mobilität weiter teurer als Billigflüge
Fliegen ist in Europa oft günstiger als Bahnfahren, und das nicht wegen echter Effizienz, sondern wegen steuerlicher Schieflagen. Eine neue Greenpeace-Analyse zeigt: Auf fast der Hälfte von 142 untersuchten Strecken ist das Flugticket billiger, auf internationalen Verbindungen sogar in bis zu 95 Prozent der Fälle. Der Grund: Fluggesellschaften genießen massive Privilegien. Kerosin bleibt steuerfrei, internationale Tickets sind von der Mehrwertsteuer befreit. Für die Bahn gelten dagegen volle Abgaben.
So kommt es zu extremen Preisunterschieden: Ein Flug von Barcelona nach London kostet manchmal nur 15 Euro, die klimafreundliche Zugfahrt dagegen fast 389 Euro – obwohl sie zehnmal weniger CO₂ verursacht.
Fazit: Solange Fliegen steuerlich belohnt und die Bahn benachteiligt wird, bleibt klimafreundliche Mobilität ein Luxus. Es ist an der Zeit, Steuerprivilegien im Flugverkehr EU-weit oder noch besser weltweit abzubauen und die Bahn zu entlasten.
Hier die vollständige Analyse.
Hörens- und sehenswert
Milliardenerbe – und trotzdem Steuern? Als Heinz-Hermann Thiele 2021 starb, zahlte seine Familie rund vier Milliarden Euro Erbschaftsteuer – ein Ausnahmefall. Denn viele Superreiche umgehen die Steuer über Familienstiftungen, die in Deutschland immer beliebter werden. Wie das funktioniert und warum das ein Problem ist, durften wir aktuell bei der WDR-Sendung Monitor erklären. Mit dabei Hubert Aiwanger, der sein Herz für Milliardäre öffnet, ein ehemaliger Vorstand des Stifterverbandes, der den Missbrauch der Stiftungsidee beklagt und ein bayerischer Vizebürgermeister, der bessere Investitionsideen hat als die Erben.
Dieser Beitrag wurde von der Europäischen Union kofinanziert. Der Inhalt liegt in der alleinigen Verantwortung vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Europäischen Union wider.







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