Steuergerechtigkeitscheck Juni 2025: Steuergerechtigkeit trifft Bürger

Das erste Wochenende unserer Bürgerdebatte liegt hinter uns – und wir sind beeindruckt. Die Debatte hat Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammengebracht. Sie haben auch nach vielen Stunden unermüdlich über Steuern und Gerechtigkeit diskutiert. Mit dem richtigen Umfeld kann das also gelingen. (Bilder und weitere Informationen unter www.steuerdebatte.info)
Pünktlich zum Start der Debatte in Erfurt haben wir auch die Ergebnisse der Online-Beteiligung in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Seit einigen Tagen ist auch der Ergebnisbericht online.
Parallel zur Debatte ist der erste Entwurf unseres neuen Steuerhandbuchs fertig geworden. Auf nur 40 Seiten (statt 100 im Jahrbuch) erklärt es auch für Menschen ohne Vorwissen die größten Gerechtigkeitslücken im Steuersystem. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare und Namensvorschläge bis zum 13. Juni, damit die überarbeitete Version pünktlich zum Debattenabschluss am 29. Juni erscheinen kann. (Hier geht’s zum Download.)
Auch der Newsletter erscheint ab jetzt in vereinfachter Struktur. Wem das immer noch zu viel Text ist, findet die wichtigsten Neuigkeiten wie gewohnt auch in unserem Podcast (diesen Monat mit Sarah Godar vom DIW zum automatischen Steuerinformationsaustausch) und die wichtigsten Gerechtigkeitslücken in unserer neuen Kurzvideo-Reihe auf Instagram, TikTok und YouTube.
+++Das erste Gesetz der neuen Bundesregierung: Zu teuer und ungerecht+++Digitalkonzerne gerecht besteuern statt Kulturabgabe+++Neue Studie zu Milliardären im Globalen Süden+++Falsche Richtung bei den Umweltsteuern+++Eine gute und eine schlechte Nachricht aus der Welt der Schattenfinanz+++
Steuern für Gerechtigkeit
Steuererleichterungen für Unternehmen: teuer, ungezielt, wenig nachhaltig
Eines der ersten Reformvorhaben aus dem Koalitionsvertrag ist auf den Weg gebracht: Das Kabinett hat sich auf massive Steuererleichterungen für Unternehmen geeinigt. Schon ab 1. Juli sollen großzügige Abschreibungen für Maschinen und Anlagen sowie für elektrische Dienstwagen gelten. Ab 2028 soll die Körperschaftsteuer schrittweise um fünf Prozentpunkte sinken. Kostenpunkt: Fast 50 Milliarden Euro bis zum Ende der Legislaturperiode. Allein in den nächsten drei Jahren entgehen den ohnehin klammen Kommunen weitere 11 Milliarden Euro – vor allem durch Einnahmeausfälle bei der Gewerbesteuer infolge der erweiterten Abschreibungen. Der Bundestag hat vorsorglich für den 23.6. eine Expertenanhörung zum Gesetzesentwurf beschlossen, aber mehrere Länder und Kommunen haben bereits Bedenken angemeldet.
Insgesamt ist das Paket zu teuer, zu wenig zielgenau und ungerecht. Statt teurer Entlastungen mit der Gießkanne sollte die Bundesregierung lieber Strukturreformen angehen und gezielt in den Standort investieren, um die Rahmenbedingungen für private Investitionen nachhaltig zu verbessern. Weitere Details in unserem neuen Mythen-Check.
Digitalkonzerne gerecht besteuern statt Medienabgabe
Die Monopolgewinne der großen Digitalkonzerne spielen im Koalitionsvertrag fast keine Rolle – mit einer winzigen Ausnahme: Im Kapitel Medienvielfalt und Meinungsfreiheit findet sich dort eine “Abgabe für Online-Plattformen, die Medieninhalte nutzen”. Deswegen kümmert sich anscheinend auch nicht etwa der Bundesfinanzminister, sondern der Beauftragte für Kultur und Medien um die gerechte Besteuerung der Konzerne. Er hat eine Abgabe von 10 Prozent auf die Umsätze von großen Werbeplattformen wie Google Ads oder Instagram vorgeschlagen. Die würde Microsoft, Amazon oder Netflix kaum betreffen und deswegen nur etwa eine Milliarde Euro Mehreinnahmen bringen.
Mehr dazu im Interview mit Lukas Scholle im neuen Surplus-Magazin (€) und ab Samstag 13:05 Uhr im Breitband-Podcast vom Deutschlandfunk.
Weitere Nachrichten:
- Die Einkommensteuerstatistik für 2021 ist da: Demnach gab es 34.500 Einkommensmillionäre und damit 18 Prozent mehr als im Vorjahr (preisbereinigt immerhin noch 12 Prozent) – aber ein Großteil der Kapitaleinkünfte fehlt, etwa Einkommen aus nicht ausgeschütteten Unternehmensgewinnen, Dividenden, Veräußerungsgewinnen und Zinsen.
- Schweden, das Land der Milliardäre: Laut Ruchir Sharma von Rockefeller International hat das Vermögen der schwedischen Milliardäre im letzten Jahr mit 31 Prozent vom BIP einen neuen Rekordwert erreicht. Der Großteil davon stammt nach seiner Analyse aus “schlechten” Quellen wie Immobilien, Rohstoffen und Erbschaften – dadurch wächst die Gefahr gesellschaftlicher Spannungen.
- Wegzugsteuer wirkt weiterhin auch beim Wegzug in die Schweiz: Ein aktuelles BMF-Schreiben bestätigt, dass für Menschen mit großen Vermögen beim Wegzug in die Schweiz die gleichen Regeln gelten wie beim Umzug in ein EU-Land. Wer vor 2022 in die Schweiz gezogen ist, kann also eine unbefristete und zinslose Stundung auf die fällige Steuer beantragen. Ab 2022 wird die Steuer auch beim Wegzug in ein Land der EU direkt fällig und kann nicht mehr gestundet werden.
- Unternehmer denken bei Steuern an Staatsfinanzierung: DasZEW Mannheim hat 7.800 Unternehmer gefragt, wann sie Steuererhöhung am ehesten akzeptieren. “Fällige Schulden“ zur Staatsfinanzierung und der Appell an Verantwortung und Stabilität stießen auf die beste Resonanz. Eine realistische Kommunikation über Haushaltszwänge erhöhte die Steuerakzeptanz. Fairness oder unverschuldete Notlagen wie Corona überzeugten die Unternehmer dagegen nicht. Klingt ganz nach Elon Musk, der kein Problem hatte, den Ärmsten der Armen die Entwicklungshilfe zu streichen, aus Sorge um die Staatsverschuldung jetzt aber gegen Steuersenkungspläne von Donald Trump rebelliert.
- Medien erzählen lieber einfache und persönliche Geschichten: Eine neue Analyse der Otto Brenner Stiftunguntersucht die Berichterstattung zum “Guten Rat für Rückverteilung” von Marlene Engelhorn. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Medien viel, aber oberflächlich berichten und systemische Fragen nur stark vereinfacht wiedergegeben haben.
Internationale Steuergerechtigkeit
Neue Studie zu Milliardären im Globalen Süden
Im Auftrag von GIZ und BMZ haben wir uns die Besteuerung von sechs Milliardären aus dem Globalen Süden genauer angeschaut. Das Ergebnis in aller Kürze: Genau wie im Globalen Norden werden ihre angehäuften Unternehmensgewinne meistens niedriger besteuert als Arbeitseinkommen. Eine globale Mindeststeuer auf ihre Vermögen könnte das ändern. Sie könnte global 200 bis 400 Milliarden US-Dollar und in den untersuchten Ländern immerhin 6 bis 9 Milliarden US-Dollar Mehreinnahmen bringen. Gleichzeitig würde sie noch nicht mal die Vermögenssubstanz besteuern, sondern nur das Wachstum der größten Vermögen verlangsamen. Mehr dazu hier.
Steuern für Gesundheit und Umwelt
Falsche Richtung bei den Umweltsteuern
In zwei neuen Studien untersucht das FÖS die Wirkung von steuerpolitischen Maßnahmen der neuen Bundesregierung auf Umwelt und Gerechtigkeit.
- Bei einem Vergleich von acht Maßnahmen zur Förderung der E-Mobilität schneidet die vom Kabinett beschlossene Sonderabschreibung am schlechtesten ab. Sie spart nach Schätzung des FÖS nur 0,23 Mio. Tonnen CO2. Bei der Dienstwagenbesteuerung geht der Plan der Bundesregierung aus Sicht des FÖS in die falsche Richtung. Mit einem Bonus-Malus-System könnten laut FÖS fast 10 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden und je nach Ausgestaltung sogar Mehreinnahmen erzielt werden.
- Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung haben versprochen umweltschädliche Subventionen zu prüfen und abzubauen. Bis 2023 sind die Subventionen allerdings laut FÖS von 65 auf 85 Milliarden Euro gestiegen. Eine gerade veröffentlichte Kurzanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass im neuen Koalitionsvertrag vorgeschlagene Maßnahmen die Subventionen um weitere 9 bis 16 Milliarden Euro erhöhen würden – u.a. durch die Senkung des Strompreises auch für fossile Quellen, die Erhöhung der Pendlerpauschale oder die Senkung der Luftverkehrsteuer.
Finanzbeamte für ein gerechtes Steuersystem
Eine gute und eine schlechte Nachricht aus der Welt der Schattenfinanz
Die gute zuerst: Der automatische Informationsaustausch von Kontoinformationen wirkt. Daten aus 16 Ländern (darunter Deutschland) zeigen, dass Informationen zu etwa 70 Prozent der geschätzten Offshore-Vermögen in den Heimatländern ankommen und mittlerweile zu bis zu 90 Prozent dortigen Steuerpflichtigen zugeordnet werden können. Bisher reden aber nur drei Länder öffentlich darüber, wie sie Daten für den Kampf gegen Steuerhinterziehung nutzen und nur Großbritannien schätzt den festgestellten Steuerausfall – rund 300 Millionen Pfund für das Jahr 2018. Außerdem fehlen bei Stiftungen und Trusts nach wie vor oft die wirtschaftlich Berechtigten. Mehr dazu in der neuen Studie von Sarah Godar (DIW Berlin) hier.
Die schlechte zuletzt: Deutschland hat sich im neuen Schattenfinanzindex des Tax Justice Network um einen Platz auf Rang 6 verschlechtert. Die ehemalige Finanzminister ist mit seinem Versprechen, die Geldwäschebekämpfung “vom Kopf auf die Füße” zu stellen, leider komplett gescheitert (Mehr dazu in unserer Pressemitteilung).
Weitere Nachrichten:
- Die Financial Intelligence Unit (FIU) will Verdachtsmeldungen endlich strukturiert auswerten: Ein neuer Verordnungsentwurf des BMF macht dafür detaillierte Vorgaben zu Form und Inhalt der Meldungen.
- Maltas Golden Visa verstoßen gegen EU-Recht: Laut EuGH ist die „Vermarktung des Unionsbürgerstatus […] mit dem in den Verträgen festgelegten Grundkonzept der Unionsbürgerschaft unvereinbar”. Diesem Urteil muss Malta unverzüglich nachkommen, sonst drohen Sanktionen.
- Cum-Ex-Kronzeuge kommt mit Bewährungsstrafe davon:Kai-Uwe Steck hat mit seinem Partner Hanno Berger die Cum-Ex-Bonanza in Deutschland mitgeprägt, war später als Kronzeuge mitverantwortlich für zahlreiche Verurteilungen. Dieser Gegensatz spiegelt sich nun im Urteil des Landgerichts Bonn wider: nur ein Jahr und zehn Monate Haft auf Bewährung plus 23,5 Millionen Euro. Es warten allerdings Revision sowie weitere strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren auf Steck, die seine eher milde Strafe verschärfen könnten (Details: Handelsblatt Crime-Sonderfolge).
- Erfolg bei der europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA): Ende Mai verhängte das Landgericht München I wegen organisiertem Umsatzsteuerbetrug eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten und zog 4,9 Millionen Euro ein. Das Umsatzsteuerkarussell mit Platinmünzen führte zu einem geschätzten Steuerschaden von mindestens 23 Millionen Euro mit Fokus auf Hamburg, Chemnitz und München. Das Geld wurde hauptsächlich in Tschechien, der Slowakei und Rumänien gewaschen. Weitere spannende Hintergründe zur Arbeit der EUStA in unserem Podcast mit Staatsanwalt Andrés Ritter.
Veranstaltungen
Online:
- 13.06.2025, 12:00 – Uhr: EU Tax Observatory – Lunch Seminar – weitere Infos und Webstream
- 25.06.2025, 14:30 Uhr: FISC, ordentliche Sitzung – Webstream
Berlin:
- 17.06.2025, 9:30-16:00: Tagung “Den Reichtum zurückholen” zu linken Perspektiven auf Vermögensbesteuerung u.a. mit Julia Jirmann, Gabriel Zucman, Martyna Linartas und Linke-Politiker*innen. Programm und Anmeldungslink
- 23.06.2025, 13:00 Uhr: ifst – Jahrestagung: Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in den transatlantischen (Steuer-)Beziehungen – weitere Infos und Anmeldung
- 24.06.2025, 14:15 Uhr, Berlin: Panel mit Julia Jirmann, “Umsteuern bei “knappen Kassen” – wie garantieren wir Steuergerechtigkeit?“, Wohlstand für wen? Gerechte Verteilung als Schlüsselfrage für unsere Demokratie (DGB)
- 25./26.06.2025: BMF – Jahreskonferenz des Netzwerks empirische Steuerforschung (NeSt) – weitere Infos und Link zur Anmeldung
München:
- 16.06.2025, 18:15 Uhr: MPI, Vortrag: Zukunftsfähigkeit des Gewerbesteuerrechts – weitere Infos und Anmeldung
Hörens- und sehenswert
- Bei Übermedien beleuchtet Annika Schneider die Debatte um die Grundsteuer und fordert mehr konstruktiven und sachlichen Journalismus.
- Passend zum „Wirtschaftsbooster“: Prof. Sebastian Gechert (TU Chemnitz)erklärt im Gespäch mit „In der Wirtschaft“, warum von den geplanten Unternehmensteuersenkungen kein Wirtschaftswachstum zu erwarten ist.
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